Das Ausbluten eines Landes
Russlands Wirtschaft kämpft nicht nur gegen westliche Sanktionen und die Folgen des Ukrainekriegs – das Land verliert seine Bevölkerung. Die Demografie ist ein Thema, das in den letzten Jahren immer mehr an Brisanz gewonnen hat.
Der Krieg hat die Abwanderung junger, gut ausgebildeter Fachkräfte drastisch beschleunigt und gleichzeitig die Todesrate in die Höhe getrieben.
Der russische Ökonom Alexej Rakscha beschreibt die Situation unverblümt: „Wir sind im Sterben begriffen. Wenn sich nichts ändert, wird sich unsere Bevölkerung bis zum Ende des Jahrhunderts halbieren.“
Arbeitskräfte: Fehlanzeige
Die Statistik ist alarmierend. Mit einer Arbeitslosenquote von nur 2,3 Prozent herrscht in Russland faktisch Vollbeschäftigung – doch die Unternehmen klagen über einen akuten Mangel an qualifizierten Kräften. Allein an hoch qualifizierten Arbeitskräften fehlen dem Land aktuell 1,5 Millionen Menschen.
„Jeder Unternehmer sucht verzweifelt nach Mitarbeitern“, berichtet ein westlicher Manager in Moskau. Die Transportbranche ist besonders betroffen: In der Hauptstadt fehlen über 100.000 Taxifahrer, und selbst Lagerarbeiter sind kaum noch zu finden.
Eine Wirtschaft am Limit
Der Krieg hat die ohnehin fragile Situation weiter verschärft. Aktuell stehen rund 1,5 Millionen Soldaten im Dienst, viele von ihnen junge Männer im besten Arbeitsalter. Der private Sektor leidet unter dem ungleichen Wettbewerb mit der staatlich subventionierten Rüstungsindustrie, die mit überhöhten Löhnen Fachkräfte abzieht.
Auch der IT-Sektor, einst Russlands Vorzeigebranche, kämpft. Nach massiver Abwanderung gut ausgebildeter Fachkräfte infolge der Mobilmachung 2022 versucht die Regierung, die Branche mit Steuerprivilegien zu stabilisieren – bislang ohne durchschlagenden Erfolg.
Geburtenrate: Ein Land schrumpft
Russland durchlebt eine historische demografische Krise. Die Geburtenrate sinkt kontinuierlich, während die Zahl der Todesfälle steigt. Gründe dafür sind neben den Kriegsverlusten auch Alkoholmissbrauch und eine unzureichende Gesundheitsversorgung. Im Jahr 2024 starben fünf Prozent mehr Menschen als im Vorjahr, die Geburten gingen gleichzeitig um drei Prozent zurück.
Diese Entwicklungen sind langfristig fatal: „Die Geburtenkrise der 1990er-Jahre wirkt wie eine Zeitbombe. Der demografische Tiefpunkt wird erst um 2030 erreicht“, erklärt Rakscha.
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Russland war jahrzehntelang auf Arbeitsmigranten aus Zentralasien angewiesen. Doch der schwache Rubel, die Angst vor Einberufungen in den Krieg und eine zunehmende Fremdenfeindlichkeit schrecken potenzielle Migranten ab. Der Wanderungssaldo sank 2023 auf ein historisches Tief von 50.000 Menschen.
Präsident Wladimir Putin lehnt Migration als Lösung ab. Stattdessen setzt er auf Digitalisierung und Modernisierung – ein Plan, der angesichts der massiven Fachkräftelücke unrealistisch erscheint.