50 Milliarden – als Reaktion auf eine Drohung
Roche baut um – nicht aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, sondern aus geopolitischer Vorsicht. Nachdem US-Präsident Donald Trump angekündigt hatte, Zölle auf Arzneimittel zu prüfen, legt der Schweizer Pharmariese ein Investitionsprogramm auf, das in seiner Dimension selbst für US-Verhältnisse beeindruckend ist: 50 Milliarden Dollar in fünf Jahren, allein in den Vereinigten Staaten.
Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Es ist die vierte Milliarden-Investition eines Pharmakonzerns in den USA binnen weniger Wochen. Zuvor hatten bereits Eli Lilly, Johnson & Johnson und Novartis angekündigt, ihre US-Produktion massiv auszubauen. Die Botschaft: Wer exportieren will, muss vor Ort produzieren. Oder anders gesagt: Trumps Drohkulisse wirkt.
Wenn Drohungen Investitionen auslösen
Noch sind Medikamente nicht Teil der offiziellen US-Zollpolitik. Aber das Weiße Haus hat längst eine Prüfung eingeleitet. Sollte sie zu dem Ergebnis kommen, dass Arzneimittel „kritische Produkte“ im Sinne der nationalen Sicherheit seien – wofür es Anzeichen gibt –, könnten bald auch Tabletten und Impfstoffe unter das gleiche Zollregime fallen wie Autos, Aluminium und Stahl.
Trump selbst hatte angekündigt, er wolle „die größten Zölle sehen, die die Welt je gesehen hat – auch auf Medikamente“. Roche nimmt ihn offenbar ernst. Und das mit gutem Grund: Die USA sind mit Abstand der wichtigste Markt für das Unternehmen – mehr als 50 % der weltweiten Umsätze erwirtschaftet der Konzern dort. Selbst ein kleiner Eingriff in den transatlantischen Handel würde massive finanzielle Konsequenzen haben.
Ein geopolitischer Strukturwandel – keine Einzelfallentscheidung
Roches Milliardenprogramm ist mehr als eine Reaktion auf kurzfristige Risiken. Es ist eine strategische Umschichtung. Forschung, Entwicklung und Produktion sollen künftig stärker in den USA gebündelt werden.
Der Konzern kündigte den Bau neuer Kapazitäten für Gentherapien in Pennsylvania an, zudem neue Anlagen für Medikamente gegen Übergewicht – ein lukrativer Markt, der in den USA durch GLP-1-Präparate wie Ozempic explodiert.
„Roche to invest USD 50 billion in pharmaceuticals and diagnostics in the United States over the next five years“
Insgesamt sollen 12.000 neue Arbeitsplätze entstehen – mehr als jeder zweite davon direkt in der Bauphase. Roche beschäftigt in den USA bereits über 25.000 Menschen. Die neuen Investitionen dürften diese Zahl deutlich nach oben treiben.
Der Druck auf Europa wächst
Was in den USA aufgebaut wird, fehlt in Europa. Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (VFA) warnt bereits seit März vor einer massiven Investitionsverlagerung.
Eine aktuelle Studie von Deloitte prognostiziert im Worst Case einen Rückgang der deutschen Pharmaexporte in die USA um bis zu 53 %. Zum Vergleich: Allein 2024 exportierte die deutsche Branche Medikamente im Wert von 26 Milliarden Euro in die Vereinigten Staaten.
Und die Stimmen, die warnen, werden lauter: Bayer-Chef Bill Anderson sprach unlängst von einer „akuten Gefahr für den Pharmastandort Europa“. Trump habe ein Argument auf seiner Seite, so Anderson, denn: „Amerika zahlt – Europa spart.“
Die Preisdebatte kommt zurück
Zugleich wächst in den Konzernzentralen der Frust über die Preisregulierung in Europa – insbesondere in Deutschland. Roche etwa legte 2023 als erstes Unternehmen Verfassungsbeschwerde gegen das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ein, das unter anderem Preissenkungen bei neuen Arzneimitteln vorsieht.
„Verlässliche Rahmenbedingungen? Davon kann in Europa keine Rede mehr sein“, sagt Daniel Steiners, Chef von Roche Deutschland.
Im Umkehrschluss heißt das: Wer plant, verlagert dorthin, wo politische Stabilität, Preisdynamik und regulatorische Sicherheit gegeben sind – und das ist aus Sicht der Konzerne momentan eher Nordamerika als die EU.
Washington wird zum neuen Pharma-Magneten
Die Investitionswelle in den USA ist kein Zufall, sondern Teil einer tektonischen Verschiebung. Die Pharmaindustrie folgt den politischen Anreizen – und meidet Standorte, an denen sie wirtschaftlich ausgebremst oder politisch gegängelt wird. Trump nutzt dieses Kalkül – ob man es für fair hält oder nicht.
Für Europa ist das eine doppelte Niederlage: Erst droht der Verlust wichtiger Industriejobs, dann auch noch der Know-how-Abfluss. Denn wo geforscht, produziert und entwickelt wird, dort entstehen auch die Innovationen von morgen.
Roche setzt den Maßstab – und Europa unter Zugzwang
Mit seiner Entscheidung sendet Roche ein Signal an die ganze Branche. Wer als Konzern langfristig im US-Markt bestehen will, muss dort investieren – nicht nur mit Marketing, sondern mit Beton, Labors und Produktionslinien.
Ob Europa auf diesen Trend reagieren kann, ist offen. Die politische Debatte um Gesundheitsetats und Arzneimittelpreise ist hoch emotional – aber zunehmend losgelöst von industriepolitischer Realität. Roche hat für sich entschieden, wo Zukunft stattfindet. Europa bleibt vorerst Zuschauer.
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