21. November, 2024

Pharma

Revolution in der Zellforschung: Der Mensch in all seinen Details

Revolution in der Zellforschung: Der Mensch in all seinen Details

Die Erforschung menschlicher Zellen hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Noch vor nicht allzu langer Zeit ging man von rund 220 verschiedenen Zelltypen im menschlichen Körper aus. Diese Zahl basierte auf jahrzehntelangen Untersuchungen mit Mikroskopen und chemischen Färbemethoden. Doch modernste Analysewerkzeuge ermöglichen inzwischen einen genaueren Blick ins Zellinnere. So hat die Zahl der identifizierten Zelltypen die beeindruckende Marke von 5.000 überschritten.

Motor dieser histologischen Revolution ist das 2016 ins Leben gerufene Human Cell Atlas Konsortium. Mit über 3.600 Mitwirkenden aus 190 Laboratorien in 102 Ländern hat es sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, alle Zelltypen des menschlichen Körpers – von gesunden bis zu erkrankten Zellen – zu katalogisieren. Sogar Organoide, die ersten Versuche der Wissenschaft, lebende Organmodelle zu züchten, gehören zu ihrem Untersuchungsgegenstand.

Der neueste Fortschrittsbericht des Konsortiums wurde kürzlich in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. Laut Sarah Teichmann von der Universität Cambridge und Aviv Regev von Genentech, den Initiatoren des Projekts, verfolgt der Atlas zwei kartografische Ansätze: Einer verknüpft Zelltypen mit ihrem räumlichen und zeitlichen Standort im menschlichen Körper, der andere nutzt mathematische Manifolde, um molekulare Besonderheiten verschiedener Zelltypen darzustellen und deren Ähnlichkeiten und Unterschiede zu verdeutlichen.

Ein wesentlicher Aspekt des Projekts ist die globale Perspektive. So legen Teichmann und Regev großen Wert darauf, die Vielfalt aller Kontinente widerzuspiegeln, ohne sich auf bestimmte Regionen wie Europa oder Nordamerika zu konzentrieren. Dieses Vorgehen hat bereits wertvolle Erkenntnisse über geografische Unterschiede in Immunreaktionen und Krebsanfälligkeiten gebracht.

Die kürzlich veröffentlichten Arbeiten des Projekts befassen sich mit Themen wie der Plazenta, der embryonalen Skelettentwicklung, Darmentzündungen und der Thymus-Bildung. Besondere Aufmerksamkeit erregt die Erforschung von Gehirn-Organoiden, die aus menschlichen Stammzellen erzeugt wurden. Diese bieten die Möglichkeit, lebendes menschliches Gehirngewebe zu studieren, ohne es entnehmen zu müssen. Mithilfe der Sammlung von mRNA-Daten und mathematischer Modellierung mappt das Wissenschaftsteam die Unterschiede in der neuronalen Entwicklung dieser Organoide.

Die Erkenntnisse aus diesen Papieren zeigen nicht nur wissenschaftlichen Fortschritt, sondern verdeutlichen auch die zukünftige Anwendung des Projekts. Neben der Weiterentwicklung des Atlas‘ durch künstliche Intelligenz zielt das Projekt darauf ab, komplexe biologische Prozesse besser zu verstehen und sogar neue Zelltypen vorherzusagen. Dies eröffnet vielversprechende Perspektiven, von der verbesserten Medikamentenforschung bis hin zur Vision eines digitalen Zwillings des Menschen.