Im Angesicht des wachsenden Bedarfs an emissionsarmer Technologie und gestiegener Sicherheitsbedenken bezüglich der Energieversorgung erlebt die Kernkraftindustrie eine bemerkenswerte Auferstehung. Vor diesem Hintergrund bemühen sich Reaktorbauer intensiv darum, Zigtausende von Arbeitskräften, darunter viele pensionierte Ingenieure und erfahrene Fachkräfte, für neu aufkommende Großprojekte zu gewinnen.
Entwickler und staatliche Vertreter äußern, dass dieser Schritt im Einklang mit einer aufkeimenden Klimaschutzdebatte steht und durch den jüngsten Anstieg der Besorgnis über die Energiesicherheit, verstärkt durch die russische Invasion der Ukraine, weiter angetrieben wird. Ein Mix aus Nationen, darunter Indien, die USA, Frankreich, Großbritannien und Polen, plant derzeit weitere Bestellungen für neue Kernkraftwerke.
Im Fokus stehen besonders jene Pensionierte, die in der Blütezeit des Sektors in den späten 1950er Jahren bis zum Tschernobyl-Unfall 1986 sowie dem Unglück in Fukushima 2011 wertvolle Erfahrungen sammelten. Beispielsweise unterstützt der 69-jährige Jean-Marc Miraucourt, ein ehemaliger Ingenieur des französischen Staatskonzerns EDF, das Unternehmen seit seinem Ruhestand 2019 bei Ausschreibungen und Projekten.
In Frankreich, das mit 56 Reaktoren den größten Kernkraftbetreiber Europas stellt, soll der erste Reaktor seit 25 Jahren, in Flamanville, Normandie, im bevorstehenden Sommer ans Netz gehen. Verzögerungen dieses Vorhabens, das bereits zwölf Jahre hinter dem Zeitplan liegt, werden teils auf den Verlust an Fachkenntnissen zurückgeführt, wovon auch Zulieferer betroffen waren. Im Gegensatz dazu hat China seine Baukapazitäten allmählich ausgebaut.
Mit Blick auf die Zukunft plant Frankreich den Bau von mindestens sechs neuen Reaktoren für die späten 2030er Jahre, wohingegen andere Länder wie Schweden und Japan, die zuvor ihre Kernkraftprojekte zurückfuhren, nun gegensteuern. Die USA treiben als Heimat der größten nationalen Reaktorflotte mit 94 Anlagen auch Entwicklung next-generation nuclear technologies voran und sind unter anderem bestrebt, kleinere Reaktormodelle zu produzieren. Das US-Energieministerium schätzt, dass die Branche bis 2050 zusätzlich 375.000 Arbeitskräfte benötigt, von denen bis 2030 etwa 55.000 benötigt werden.
Der Fachkräftemangel ist teilweise auf den Rücktritt einer Vielzahl von Babyboomern zurückzuführen. In Frankreich wird davon ausgegangen, dass bis 2033 etwa 60.000 Vollzeitstellen in Kernkraftjobs neu besetzt werden müssen, wobei die Hälfte dieser Stellen aufgrund von Branchenaustritten entstehen wird.
Die Agentur Experconnect, spezialisiert auf die Vermittlung von Rentnern, hat 1.600 ehemalige Kernkraftarbeiter verzeichnet, deren Fähigkeiten laut Marie-Pierre de Montessus ausgesprochen gefragt sind. Kernkraft-Start-ups wie Newcleo mit Sitz in London, Lyon und Turin setzen ebenfalls auf das Know-how älterer Mitarbeiter. Dort ist der 75-jährige Chief Scientific Officer ein gutes Beispiel für das Engagement und die Wiederintegration älterer Kräfte.
Das Phänomen der Wiedereingliederung ist keinesfalls auf Europa beschränkt. Craig Piercy, CEO der American Nuclear Society, berichtet, dass viele Menschen deutlich jenseits des Rentenalters weiterhin aktiv bleiben. Eine erfreuliche Wendung kündigt sich auch im Bildungsbereich an: Todd Allen, Leiter des Kerningenieurwesens an der University of Michigan, beobachtet steigende Studierendenzahlen in seinem Fachbereich.
Zu guter Letzt illustrieren Einzelschicksale wie das des 62-jährigen Antony Woaye-Hune, der bei Newcleo neu eingestellte Mitarbeiter schult, oder das Engagement von Grace Stanke, einer 22-jährigen Kerningenieurin und frisch gekrönten Miss America 2023, das wachsende Interesse einer jungen Generation, die den Klimawandel als ihre Generationenaufgabe sieht.