15. Januar, 2025

Politik

Reform oder Machtspiel? Die umstrittene Verfassungsänderung in Berlin

Mit der Reform der gesetzlichen Grundlagen des Bundesverfassungsgerichts will die Ampelkoalition „Resilienz“ schaffen – Kritiker sehen darin jedoch einen Versuch, unliebsame Parteien langfristig auszuschließen.

Reform oder Machtspiel? Die umstrittene Verfassungsänderung in Berlin
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe steht nach der Reform unter Beobachtung. Kritiker befürchten, dass die Mitsprache der Opposition massiv eingeschränkt wird.

Es war ein ungewöhnlich hektischer Moment für den sonst eher besinnlichen Dezember: In den letzten Tagen vor Weihnachten stimmte der Bundestag über eine Reform des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ab.

Eine Entscheidung, die tiefgreifende Konsequenzen für die deutsche Demokratie haben könnte. Offiziell soll die Reform das höchste deutsche Gericht vor politischen Eingriffen schützen.

Doch hinter den Kulissen brodelt es: Kritiker werfen der Regierungskoalition vor, mit der Neugestaltung gezielt die Mitsprache der Opposition, insbesondere der AfD und des BSW, zu unterbinden.

„Sperrminorität“ als Feindbild

Das Kernstück der Reform: Künftig soll die Richterwahl schneller voranschreiten. Sollte der Bundestag innerhalb von drei Monaten keine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Wahl eines Verfassungsrichters erzielen, geht das Wahlrecht automatisch auf den Bundesrat über.

Ziel ist es, eine „Sperrminorität“ zu verhindern – ein Begriff, der in der politischen Diskussion für hitzige Debatten sorgt. Oppositionspolitiker sehen darin jedoch eine Aushebelung ihrer Mitbestimmungsrechte.

„Mit dieser Reform wird der Einfluss der Opposition auf null reduziert“, warnt der Bundestagsabgeordnete Jochen Haug von der AfD. „Wer ein Drittel der Wählerschaft repräsentiert, sollte nicht einfach übergangen werden.“

Künftig entscheidet der Bundesrat, wenn der Bundestag keine Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht. Eine Maßnahme, die Oppositionsparteien wie AfD und BSW praktisch ausschließt.

Unterstützt wird diese Ansicht auch von einigen unabhängigen Verfassungsrechtlern, die die Reform für verfassungswidrig halten.

Lehren aus Polen?

Die Bundesregierung rechtfertigt die Reform mit dem Verweis auf die Entwicklungen in Polen. Dort hat die PiS-Regierung in den letzten Jahren die Unabhängigkeit des Verfassungstribunals massiv eingeschränkt. „Deutschland darf nicht in eine ähnliche Lage geraten“, so ein Sprecher des Bundeskanzleramts.

Doch die Parallelen sind umstritten: „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das deutsche Parlament das Verfassungsgericht in Gefahr bringen würde“, erklärt der Berliner Verfassungsrechtler David Werdermann.

Ein schwerfälliges Gericht

Eine weitere Änderung betrifft die Arbeitsweise des Verfassungsgerichts. Künftig soll es selbstständig festlegen, in welcher Reihenfolge es Fälle bearbeitet. Zwar sollen dadurch potenzielle Eingriffe durch den Gesetzgeber verhindert werden, doch Kritiker bemängeln die langsame Bearbeitung wichtiger Verfahren.

Fälle wie die sogenannte „Panzerklage“ oder die Untersuchung zu Waffenlieferungen an die Ukraine lagen monatelang brach – oft zum Nachteil der Kläger.


Lesen Sie auch:

China im Abwärtstrend: Stoppt der Anleihekaufstopp die wirtschaftliche Talfahrt?
Die chinesische Zentralbank setzt den Kauf von Staatsanleihen aus, um den Verfall der Renditen und die Schwäche der Währung zu bremsen. Doch Experten warnen vor einer drohenden Stagnation nach japanischem Vorbild.

„Es entsteht der Eindruck, dass gewisse Klagen bewusst verschleppt werden“, sagt ein ehemaliger Verfassungsrichter anonym. Besonders Fälle der AfD scheinen besonders lange auf ihre Bearbeitung zu warten, wie etwa die Klage zur Schuldenbremse oder die Organstreitverfahren zur Grenzöffnungspolitik.

Die Zukunft des höchsten Gerichts

Mit der Verfassungsreform will die Regierung Handlungsfähigkeit demonstrieren – doch der Preis scheint hoch. Experten warnen vor einer langfristigen Schädigung des Vertrauens in die Neutralität des Gerichts. „Eine Demokratie lebt von der Vielfalt der Meinungen und von der Mitbestimmung der Minderheiten“, betont der Politikwissenschaftler Jürgen Kerner.