Österreich steht vor einem politischen Wendepunkt: Bundeskanzler Karl Nehammer hat seinen Rücktritt sowohl als Regierungschef als auch als Vorsitzender der konservativen Volkspartei angekündigt, nachdem es ihm nicht gelungen war, nach den Wahlen im September eine neue Koalition zu bilden. Diese Entscheidung erhöht die Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen, während die Konservativen nun die Möglichkeit haben, einen neuen Führer zu ernennen, der im Gegensatz zu Nehammer bereit sein könnte, mit der rechtsextremen Freiheitlichen Partei, die bei der September-Wahl die meisten Sitze gewann, eine Regierung zu bilden. Die niederösterreichische Landeshauptfrau und einflussreiche Konservative Johanna Mikl-Leitner verkündete, dass die Parteiführung am Sonntag zusammenkommen werde, um die nächsten Schritte zu beraten. Für vorgezogene Neuwahlen bedarf es allerdings einer Mehrheit im Nationalrat, der unteren Kammer des Parlaments. Als potenzielle Anwärter auf den Parteivorsitz werden Karoline Edtstadler, eine ehemalige Verfassungsministerin, sowie Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz gehandelt, der nach dem Rücktritt 2021 aufgrund eines Korruptionsermittlungsverfahrens ein Comeback feiern könnte, so das Kurier-Medium unter Berufung auf Parteikreise. Nehammer beendet damit drei Monate zäher Koalitionsverhandlungen, bei denen zuletzt Gespräche mit den Sozialdemokraten geführt wurden, nachdem die liberalen NEOS sich in der Woche zuvor zurückgezogen hatten. Am Samstag erklärte Nehammer, auch die Gespräche mit den Sozialisten würden eingestellt. "In wesentlichen Kernfragen konnte keine Einigung erzielt werden", sagte Nehammer in einer Erklärung auf X. "Ich werde in den kommenden Tagen sowohl als Kanzler als auch als Vorsitzender der Volkspartei zurücktreten und eine geordnete Übergabe ermöglichen." Der FPÖ-Chef Herbert Kickl dürfte am meisten vom politischen Chaos profitieren, das Österreich in einer schwierigen Zeit heimsucht, wo weite Teile der Wirtschaft unter Druck stehen und das Budget konsolidiert werden muss. Kickl führte die rechtsextreme Gruppierung zu ihrem ersten Wahlsieg im September mit 28,8 % der Stimmen. Dennoch erwiesen sich seine politischen Initiativen als zu kontrovers für die anderen Parteien, darunter die Ablehnung der Unterstützung der Ukraine, die Kritik an den Corona-Maßnahmen und die Forderung nach Massendeportationen von Immigranten. In einer Erklärung vom Samstag äußerte Kickl, die nächsten Schritte der Volkspartei würden ein Prüfstein sein, ob sie "wenigstens angefangen hat, den Willen der Wähler zu verstehen." Die Freiheitliche Partei ist seit mehr als einem halben Jahrhundert Teil der österreichischen politischen Landschaft. Ein von ihr geführtes Regierungsbündnis wäre jedoch eine Premiere für das Land und käme zu einer Zeit, in der in Europa radikale rechtsextreme Gruppierungen an Zulauf gewinnen.