Deutschlands demografische Herausforderungen rücken weiter in den Vordergrund, da sich die Zahl der Pflegebedürftigen laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach überraschend schnell erhöht hat. Im Gegensatz zu den prognostizierten 50.000 neuen Pflegefällen waren es im vergangenen Jahr schätzungsweise 360.000 mehr. Lauterbach zeigt sich vor dem Redaktionsnetzwerk Deutschland verwundert über die signifikante Diskrepanz, deren Ursache noch unklar bleibt. Ein zusätzliches Problem schildert der Minister mit der gleichzeitigen Pflegebedürftigkeit der Babyboomer und ihrer Eltern, was sich als eine neue demografische Herausforderung abzeichnet.
Das aktuelle Wachstum an Pflegebedürftigen hat weitrechende Folgen für das bestehende System. Wissenschaftler sagen eine Zunahme von fünf auf sechs Millionen Pflegebedürftige in den nächsten 15 Jahren voraus. Besonders in den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg wird mit starken Anstiegen gerechnet. Diese Entwicklung führt gleichzeitig zu einem alarmierenden Fachkräftemangel, mit einem möglichen Defizit von 280.000 bis 690.000 Pflegekräften bis 2049, so Schätzungen des Statistischen Bundesamtes.
Die Tragfähigkeit des aktuellen Pflegeversicherungssystems ist laut Lauterbach ohne Anpassung des Beitragssystems nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die erst kürzlich erfolgte Anpassung der Beitragssätze für Kinderlose auf vier Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent scheint angesichts der prognostizierten Defizite von einer bis 4,4 Milliarden Euro bis 2025 unzureichend zu sein.
Trotz des klaren Handlungsbedarfs wird eine umfassende Pflegereform in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu erreichen sein. Die interministerielle Arbeitsgruppe ist sich uneins und wird sich wahrscheinlich nicht auf eine einheitliche Empfehlung einigen können. Lösungsmöglichkeiten sollen für die nächste Wahlperiode vorbereitet werden, doch die Opposition kritisiert das Vorgehen.
In der Diskussion steht auch die Unterstützung für pflegende Angehörige. Forderungen nach einer Lohnersatzleistung, ähnlich dem Elterngeld, machen die Runde. Gleichzeitig stehen viele Pflegeeinrichtungen vor einem Kapazitätsproblem aufgrund von Personalmangel, sodass Dienstleistungen eingeschränkt und Neukunden abgelehnt werden müssen.
Die finanzielle Last für Pflegebedürftige steigt ebenfalls: höhere Zuzahlungen trotz Entlastungszuschläge belasten die Betroffenen zunehmend. Angesichts dieser Entwicklungen hält Lauterbach es für unausweichlich, dass langfristig die reine Beitragsfinanzierung durch Steuermittel ergänzt werden muss.