Der deutsche Chemie- und Pharmariese Bayer steht erneut im Kreuzfeuer juristischer Auseinandersetzungen in den USA. Im Mittelpunkt: polychlorierte Biphenyle (PCB), eine Chemikalie, die der von Bayer übernommene US-Konzern Monsanto bis 1977 produzierte.
Jüngste Klagen werfen Monsanto vor, die Gesundheitsrisiken von PCB jahrzehntelang verschwiegen zu haben. Ein Urteil einer US-Geschworenenjury, das Bayer zu 100 Millionen Dollar Schadensersatz für vier Kläger verurteilt, sorgt für neue Unsicherheit – sowohl bei Investoren als auch in der Konzernzentrale in Leverkusen.
Altlasten mit weitreichenden Folgen
Der aktuelle Fall betrifft die Sky Valley Education Center in der Region Seattle. Kläger, darunter ehemalige Lehrer, machen PCB in Baumaterialien und Dichtungsmitteln der Schule für Hirn- und Organschäden verantwortlich.
Während elf weitere Kläger leer ausgingen, sieht sich Bayer dennoch massiven Vorwürfen ausgesetzt, die bis in die 1970er-Jahre zurückreichen.
Monsanto hatte PCB ursprünglich als Brandschutzmittel und Bestandteil in Baumaterialien vermarktet, bis das Produkt aufgrund seiner schädlichen Umweltauswirkungen 1979 in den USA verboten wurde.
Bayer weist die Vorwürfe mit dem Hinweis zurück, dass viele der PCB-haltigen Produkte nicht von Monsanto selbst hergestellt worden seien. Doch US-Gerichte scheinen in dieser Frage uneins, was den Konzern zunehmend in eine Zwickmühle bringt.
Milliardenschwere Risiken und drohender Reputationsverlust
Während die Börse zunächst gelassen reagierte, warnen Experten vor erheblichen finanziellen Belastungen. Analysten der Baader Bank schätzen die potenziellen Kosten der PCB-Klagen im mittleren einstelligen Milliardenbereich – ein weiteres Risiko, das Bayer neben den weiterhin ungelösten Glyphosat-Klagen schultern muss.
„Die Klageindustrie in den USA hat Bayer im Visier, vor allem wegen Monsanto“, erklärt Markus Manns, Fondsmanager bei Union Investment.
Doch nicht nur die Kosten, sondern auch die öffentliche Wahrnehmung bereiten Sorgen. "Jede negative Schlagzeile über Bayer schadet langfristig dem Image und der Marktstellung des Konzerns", so Manns weiter.
Positive Pharma-Bilanz wird überdeckt
Ironischerweise hätten die vergangenen Wochen eigentlich im Zeichen positiver Entwicklungen stehen sollen. Auf der J.P. Morgan Healthcare Konferenz präsentierte Bayer neue Blockbuster-Medikamente und starke Studienergebnisse, die den Konzern auf Wachstumskurs bringen könnten. Doch diese Erfolge verblassen angesichts der juristischen Altlasten.
Bayers neues Management unter Bill Anderson steht unter massivem Druck. Der CEO hatte bei Amtsantritt versprochen, die existenzbedrohenden Glyphosat-Prozesse zu lösen. Nun drohen ihm ähnliche Herausforderungen bei PCB, die die strategischen Pläne des Konzerns empfindlich stören könnten.
Ausblick: Hoffnung auf rechtliche Klarheit
Bayer bleibt in den USA kämpferisch und hat angekündigt, das jüngste Urteil anzufechten. Insbesondere die laufenden Berufungsverfahren könnten eine entscheidende Rolle spielen.
Ein positiver Ausgang vor dem Washington State Supreme Court könnte die PCB-Klagewelle eindämmen und Bayer zumindest auf diesem juristischen Schlachtfeld Luft verschaffen.
Gleichzeitig muss der Konzern weiter daran arbeiten, durch neue Medikamentenentwicklungen und Innovationen finanziell stabiler zu werden. Denn eines ist klar: Ohne solide finanzielle Grundlage könnte Bayer die Lasten aus den US-Klagen langfristig nicht tragen.
Sollte sich die Situation verschärfen, dürften Forderungen nach einer Zerschlagung des Unternehmens erneut laut werden – ein Szenario, das Anderson um jeden Preis verhindern will.
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