Es klingt kurios: Ausgerechnet Papier soll Neuwahlen in Deutschland verzögern. Doch das ist das Argument, das Bundeswahlleiterin Ruth Brand vor wenigen Tagen in einem Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz aufbrachte.
Zu kurzfristig anberaumte Wahlen könnten „unwägbare Risiken“ mit sich bringen – darunter die Frage, ob ausreichend Papier für Millionen Wahlunterlagen verfügbar wäre.
Die deutsche Papierindustrie sieht das anders. „Wir haben Papier“, stellt Alexander von Reibnitz, Hauptgeschäftsführer des Papierindustrie-Verbands, klar.
„Die deutsche Papierindustrie ist sehr leistungsfähig.“
Reibnitz zufolge seien Lieferungen von Wahlpapier für einen Termin im Januar kein Problem – vorausgesetzt, es wird rechtzeitig bestellt.
„Wahlpapier ist kein Engpass“
Mit einer Jahresproduktion von rund 14,6 Millionen Tonnen allein bis September 2024, sieht sich die deutsche Papierindustrie gut gerüstet für große Druckaufträge. „Wir könnten das benötigte Papier liefern“, betont Reibnitz und spielt den Ball damit zurück an die Wahlleiterin. Tatsächlich wirft die Debatte Fragen auf: Ist die Sorge um Papier nur ein Vorwand für politische Bedenken?
Laut einem Bericht des Nachrichtenportals Nius könnte mehr hinter Brands Schreiben stecken. Das Kanzleramt, so heißt es, soll direkte Kontakte zur Bundeswahlleiterin gehabt haben.
Inoffiziell habe man ihr nahegelegt, Kanzler Scholz in einem Brief vor einer „zu frühen“ Neuwahl zu warnen. Ein Thema wie Papier wäre da ein praktisches Argument.
Lesen Sie auch:
Timing oder Taktik?
Fest steht: Neuwahlen wären ein erheblicher logistischer Aufwand. Doch die vermeintliche Papierknappheit scheint kaum das wahre Problem zu sein – eher die Frage des Timings und der Vorbereitung.
Die Aussagen aus der Industrie zeigen: Mit guter Koordination und rechtzeitigen Bestellungen ließe sich das Papier für Stimmzettel problemlos bereitstellen.
Brand hingegen verweist auf logistische Risiken und Herausforderungen bei der Beschaffung und dem Druck der Wahlunterlagen. Die Frage bleibt, ob die Warnung vor einem „Papierengpass“ strategische Gründe hat.
Inmitten des politischen Tauziehens um mögliche Neuwahlen könnte dieser Brief auch eine vorsichtige Taktik darstellen – um dem Kanzler mehr Zeit zu verschaffen.
Kein Papier, aber viele Fragen
Das Thema „Papiermangel“ lenkt von den eigentlichen Herausforderungen ab. Eine vorgezogene Wahl wäre zweifellos kompliziert, aber wohl nicht wegen eines angeblichen Papierengpasses. Die Bedenken, die Brand äußert, könnten eher auf andere Faktoren hindeuten – strategische Erwägungen, die das Kanzleramt möglicherweise bevorzugt.