Die deutsche Wirtschaft erlebt einen Moment der Wahrheit. Während Volkswagen-Chef Oliver Blume kürzlich vor Belegschaften in Wolfsburg sprach, störte die IG Metall symbolträchtig mit Handy-Klingeltönen, die an einen „Weckruf für Olli“ erinnern sollten.
Treffender hätte die Lage nicht inszeniert werden können: Die Automobilbranche, das Rückgrat der deutschen Industrie, schwächelt massiv. Und mit ihr fällt ein ganzes Netz an Zulieferern und weiteren Schlüsselindustrien ins Wanken.
Autoindustrie: Vom Zugpferd zum Sorgenkind
Die Zahlen sind alarmierend: Laut einer aktuellen EY-Analyse hat die deutsche Automobilbranche allein in diesem Jahr rund 25 Milliarden Euro Umsatz eingebüßt.
Die Zahl der Beschäftigten ist um 1,5 Prozent gesunken. Hersteller wie Volkswagen und Mercedes-Benz kämpfen nicht nur mit schwachen Absätzen in Europa, sondern auch mit der stockenden Elektromobilität.
„Die Transformation kommt nicht schnell genug voran“, warnt Monika Schnitzer, Vorsitzende der Wirtschaftsweisen.
Die Umstellung vom Verbrenner auf klimaneutrale Antriebe wird durch die hohe Abhängigkeit von alten Strukturen und Märkten ausgebremst. Gleichzeitig fallen Milliardengewinne aus China, dem lange verlässlichen Wachstumsmarkt, zunehmend weg.
Industrie unter Druck: Die Folgen sind weitreichend
Die Krise der Autoindustrie zieht weite Kreise. Zulieferer wie Continental und Bosch oder Stahlriesen wie Thyssenkrupp sehen sich mit schrumpfenden Aufträgen konfrontiert.
Laut EY schrumpft der Umsatz der gesamten deutschen Industrie seit fünf Quartalen in Folge. Rund 50.000 Arbeitsplätze wurden seit Jahresbeginn abgebaut, zehntausende weitere könnten folgen.
„Wenn die Autoindustrie fällt, hat das fatale Konsequenzen für viele andere Branchen“, erklärt Jan Brorhilker von EY.
Besonders betroffen ist der Maschinenbau, der stark auf Aufträge aus der Fahrzeugproduktion angewiesen ist. Auch in der Chemiebranche wird der Rückgang spürbar, BASF und Co. bekommen den Wandel in der Automobilindustrie deutlich zu spüren.
Das grüne Wirtschaftswunder bleibt aus
Als die Transformation der Industrie vor einigen Jahren eingeleitet wurde, war die Hoffnung groß. Batteriehersteller, Softwareentwickler und Anbieter grüner Technologien sollten die neuen Leuchttürme der deutschen Wirtschaft werden. Doch das erwartete Wirtschaftswunder blieb aus.
Weder die Infrastruktur für Elektromobilität noch die Produktion von E-Auto-Komponenten schreitet ausreichend schnell voran.
Politische Uneinigkeit trägt ihr Übriges dazu bei. Während Kanzler Olaf Scholz kürzlich Investitionsprämien und Subventionen ins Spiel brachte, agiert Wirtschaftsminister Robert Habeck zunehmend defensiv. Die EU verschärft zudem mit neuen CO₂-Grenzwerten ab 2025 den Druck. Hersteller, die die Vorgaben nicht einhalten, müssen mit Milliardenstrafen rechnen.
Politik in der Pflicht
VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo bringt es auf den Punkt: „Es geht um die Frage, ob wir Industriearbeit in Deutschland halten können.“ Sie fordert ein sofortiges Eingreifen der Politik.
Doch die Parteien sind sich uneins über den richtigen Kurs. Während die FDP auf technologieoffene Ansätze wie E-Fuels setzt, drängt die Grünen-Fraktion auf konsequentere Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität.
„Strafzahlungen aus Brüssel wären in der jetzigen Situation das falsche Signal“, meint Jens Gieseke, Abgeordneter der EVP im EU-Parlament. Doch eine Anpassung der Regeln scheint frühestens 2025 realistisch. Bis dahin werden Unternehmen mit hohen Rabatten versuchen, ihre E-Autos in den Markt zu drücken – Geld, das anderen Investitionen fehlen wird.