Europas Bevölkerung altert, und die wirtschaftlichen Folgen sind jetzt kaum noch zu übersehen. Während die Politik bisher wenig unternommen hat, um dieser demografischen Herausforderung zu begegnen, zeigt eine aktuelle Studie von Morgan Stanley auf, wie gravierend die Auswirkungen für das Wirtschaftswachstum sein werden.
Besonders hart trifft es Länder wie Deutschland, Italien und Frankreich, deren wirtschaftliche Stärke schon bald auf dem Spiel stehen könnte.
Die demografische Entwicklung lässt sich seit Jahrzehnten klar voraussehen: Sinkende Geburtenraten und eine immer älter werdende Bevölkerung führen zu einem drastischen Rückgang der Erwerbsbevölkerung, während die Zahl der Rentner rapide steigt.
In Deutschland allein wird die Zahl der Erwerbsfähigen bis 2040 um mehr als fünf Prozent schrumpfen. Gleichzeitig wird der Anteil der Rentner um fast 20 Prozent steigen – eine gefährliche Schere, die den wirtschaftlichen Wohlstand bedroht.
Fachkräftemangel bremst Wachstum
Der größte Risikofaktor ist der bereits spürbare Fachkräftemangel. In einer stark industriell geprägten Wirtschaft wie der deutschen sind gut ausgebildete Arbeitskräfte der Motor für Wachstum und Innovation. Fehlen diese, wird die wirtschaftliche Dynamik empfindlich ausgebremst.
Morgan Stanley prognostiziert, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone aufgrund der Alterung bis 2040 um vier Prozent niedriger ausfallen wird, als es ohne diese Entwicklung der Fall wäre. Italien wird dabei am stärksten betroffen sein, gefolgt von Deutschland.
Besonders betroffen sind die Branchen, die auf eine hohe Anzahl qualifizierter Fachkräfte angewiesen sind. Das verarbeitende Gewerbe, das in Deutschland einen erheblichen Teil des BIP ausmacht, ist besonders gefährdet.
Automatisierung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) könnten zwar helfen, die Produktivität zu steigern, doch der Fachkräftemangel bleibt eine zentrale Herausforderung.
Automatisierung als Hoffnungsträger?
Trotz der düsteren Aussichten bietet die Automatisierung auch Chancen. Unternehmen wie Gea Group, Kion und Siemens stehen an vorderster Front, wenn es darum geht, Produktionsprozesse zu automatisieren und damit die Effizienz zu steigern.
„Firmen wie Gea und Kion könnten Hauptnutznießer der Automatisierung werden“, heißt es in der Studie von Morgan Stanley.
Insbesondere in Deutschland, wo bisher vergleichsweise wenige Industrieroboter im Einsatz sind, besteht großes Potenzial.
Doch Automatisierung ist nicht in allen Branchen die Lösung. Besonders im Dienstleistungssektor – darunter Tourismus, Handel und Finanzen – bleibt der Einsatz von Robotern eine Herausforderung. Hier machen Personalkosten oft bis zu zwei Drittel der Gesamtkosten aus, was die Belastung durch den Fachkräftemangel zusätzlich verschärft.
Profiteure der demografischen Entwicklung
Nicht alle Branchen werden durch die Alterung der Gesellschaft negativ beeinflusst. Unternehmen, die sich auf die Vermittlung von Fachkräften spezialisiert haben, dürften in den kommenden Jahren besonders profitieren.
Adecco, Randstad und Hays sind laut Morgan Stanley in Europa bestens aufgestellt, um vom steigenden Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte zu profitieren. „Die Margen in der Personalvermittlung werden steigen, da gut ausgebildete Arbeitskräfte rarer werden“, heißt es in der Studie.
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Eine weitere Branche, die von der Alterung profitieren könnte, sind Zertifizierungsunternehmen. Firmen wie die schweizerische SGS oder das britische Unternehmen Diploma, die sich auf die Qualitätssicherung und Zertifizierung von Dienstleistungen spezialisiert haben, werden in einer stärker automatisierten und dienstleistungsorientierten Wirtschaft eine zunehmend wichtige Rolle spielen.
Widerstand gegen notwendige Reformen
Die Lösungen für die demografische Krise liegen auf der Hand, doch sie stoßen auf politischen und gesellschaftlichen Widerstand. Mehr Zuwanderung, eine Erhöhung des Rentenalters und eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen sind naheliegende Maßnahmen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Doch Zuwanderung ist in vielen Ländern politisch umstritten, und das Rentenalter zu erhöhen, bleibt ein höchst unpopulärer Schritt.
Die Morgan-Stanley-Studie zeigt jedoch klar, dass ohne tiefgreifende Reformen der Wohlstand in Europa langfristig gefährdet ist. „Der demografische Wandel wird das Wachstum drosseln und die Gewinne europäischer Unternehmen auf durchschnittlich 4,2 Prozent pro Jahr reduzieren – deutlich weniger als in den letzten zehn Jahren“, warnen die Experten.
Die Uhr tickt
Die Alterung der Gesellschaft stellt Europa vor eine beispiellose wirtschaftliche Herausforderung. Ohne klare politische Maßnahmen wird der Wohlstandsverlust nicht aufzuhalten sein. Doch für Anleger bietet der Trend auch Chancen: Unternehmen, die Automatisierung und Fachkräftevermittlung vorantreiben, könnten zu den Gewinnern der kommenden Jahrzehnte gehören.