Wenn eine Partei um ihre Existenz kämpft, beginnt sie meist mit einer Strategieklausur. Bei den Grünen kam der Notruf aus den ostdeutschen Landesverbänden – und wurde nun von der Parteizentrale in Berlin beantwortet.
Mit einem fünfseitigen Papier, nüchtern „Strategie Ost“ betitelt, will der Bundesvorstand gegen das vorgehen, was intern längst als strukturelle Krise gilt: das Verschwinden der Partei in weiten Teilen Ostdeutschlands.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Bei der Bundestagswahl 2021 kamen die Grünen im Osten – inklusive Berlin – nur auf 7,9 Prozent. Ohne die Hauptstadt wären es deutlich weniger gewesen.
In Thüringen und Brandenburg flogen sie im vergangenen Jahr aus den Landtagen. In Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sitzen sie nur noch knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Mitgliederzahlen? Überschaubar. Strukturen? Bröckelnd.
Zwischen Anti-Stimmung und Finanznot
In dem internen Papier heißt es, es gebe eine „fast flächendeckende antigrüne Stimmung“ im Osten. Grünen-Politik treffe auf „große Widerstände“. Von einem „immensen Vertrauensverlust“ ist die Rede, einzelne Landesverbände fürchten laut Papier sogar den „Verlust ihrer Existenzgrundlage“.
Tatsächlich ist der Zustand dramatisch. Nicht nur die Wahlergebnisse machen den Grünen zu schaffen – auch finanziell steht man in einigen Landesverbänden kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Direktspenden sollen helfen, ebenso ein neues „Ost-Fundraising“. Die Parteizentrale will „unkomplizierte“ Geldflüsse ermöglichen. Wie lange das reicht, ist offen.
Ein Festival gegen den Bedeutungsverlust
Um gegenzusteuern, setzt der Vorstand auf Präsenz. Vizeparteichef Heiko Knopf – selbst aus Jena – will künftig nicht mehr allein für den Osten sprechen. Auch Parteichefin Franziska Brantner und ihr Co-Vorsitzender Felix Banaszak sollen vor Ort Gesicht zeigen.
Im Sommer beginnt eine Osttour durch die Kreisverbände. Im Herbst folgt ein „Grünen-Festival“ irgendwo zwischen Kongress, Kaffeeklatsch und Kulturprogramm. Das Ziel: Sichtbarkeit. Und Zuhören. Nicht über den Osten reden, sondern mit ihm.

Vieles erinnert dabei an das, was in anderen Parteien unter „Begegnungsformaten“ läuft. Doch bei den Grünen steht mehr auf dem Spiel. Zwei Landtagswahlen – in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt – stehen 2026 an. Ohne sichtbaren Kurswechsel droht dort ein ähnliches Schicksal wie in Thüringen und Brandenburg: das Aus.
Ein Personalproblem mit Symbolkraft
Doch so viel die Parteiführung über Inhalte und Formate spricht – das eigentliche Problem ist auch ein personelles. Seit dem Ausscheiden von Katrin Göring-Eckardt fehlt den Grünen eine ostdeutsche Führungspersönlichkeit mit bundesweiter Sichtbarkeit.
In der Partei- und Fraktionsspitze dominieren Westbiografien: Von den zehn einflussreichsten Posten stammen fünf allein aus Nordrhein-Westfalen. Der Rest aus Rheinland-Pfalz, Bayern, Hessen – und Hamburg.
Im Osten bleibt Vize Knopf oft allein auf weiter Flur. Vorschläge, auch Abgeordnete wie Claudia Müller (MV) oder Paula Piechotta (Sachsen) in prominente Rollen zu bringen, scheiterten bislang – teils an parteiinternen Machtkämpfen, teils an fehlender Rückendeckung.
Der offene Fraktionsvizeposten für Gesundheit ging nicht an Piechotta, sondern wohl an Misbah Khan – ebenfalls Westdeutschland. Die Grünen betonen zwar, „Ostbiografien künftig stärker zu berücksichtigen“. Nur folgen auf die Worte selten Taten.
Zwischen Identität und Überleben
Die Grünen hatten nach der Wende versucht, den Osten durch das Bündnis 90 stärker einzubinden.
Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Zwar ist der Doppelname geblieben. Doch politisch, strukturell und personell spielt der Osten in der Partei kaum noch eine Rolle.
Nun sollen eine bessere „Repräsentanz ostdeutscher Lebensrealitäten“, ein „respektvoller Dialog“ und neue Formate wie das Ost-Festival das Blatt wenden. Es klingt nach Aufbruch. Aber auch nach Symbolpolitik.
Denn solange grüne Politik in Ostdeutschland als abgehoben, bevormundend oder schlicht realitätsfern wahrgenommen wird, dürfte sich an den Mehrheitsverhältnissen wenig ändern. Es reicht eben nicht, ein Event zu planen oder Auftritte zu koordinieren. Vertrauen entsteht nicht durch PR – sondern durch Präsenz, Personal und Substanz.