Zahlen, die überraschen
Still und fast unbemerkt hat sich etwas verändert, das jahrelang als gesetzt galt: Deutschland ist nicht mehr das bevorzugte Ziel für Asylbewerber in Europa. Im ersten Quartal 2025 verzeichnete Frankreich mit 40.871 Anträgen die meisten Schutzsuchenden – dicht gefolgt von Spanien (39.318).
Deutschland kommt mit 37.387 nur noch auf Platz drei. Das geht aus einem internen Bericht der EU-Kommission hervor, der InvestmentWeek vorliegt.
Für Deutschland ist das ein Rückgang um 41 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Und damit mehr als nur ein statistischer Ausrutscher.
Was steckt hinter dem Wechsel?
Mehrere Entwicklungen tragen zu dieser Verschiebung bei. Einerseits hat sich die Zusammensetzung der Herkunftsländer verändert. Die meisten Anträge kamen zuletzt aus Venezuela, Afghanistan und Syrien.
Besonders auffällig: Die Zahl der venezolanischen Asylbewerber stieg um 44 Prozent. Auch bei Antragstellern aus der Ukraine, China und Indien gab es starke Zuwächse.
Frankreich und Spanien profitieren davon – geografisch, historisch und sprachlich. Für viele lateinamerikanische Migranten ist Spanien näher, vertrauter, einfacher. Für Ukrainer scheint Frankreich attraktiver zu werden – möglicherweise wegen besserer Unterbringungsmöglichkeiten und staatlicher Leistungen.
Deutschland bleibt syrisches Hauptziel
Trotz der neuen Gesamtrangfolge bleibt Deutschland das zentrale Ziel für syrische Flüchtlinge. Mehr als jeder zweite syrische Asylantrag in Europa wird hier gestellt. Ein Viertel aller Anträge in Deutschland stammt von Syrern. Afghanen (16 %) und Türken (11 %) folgen.

Das ist keine Überraschung. Bestehende Netzwerke, Sprachmittler, Erfahrungen aus den letzten Jahren – all das macht Deutschland für Syrer besonders attraktiv.
Brüssel bleibt nervös
Obwohl die Gesamtzahl der Asylanträge in der EU, Norwegen und der Schweiz im Vergleich zum Vorjahr um 19 Prozent zurückging, ist die EU-Kommission alles andere als entspannt. In dem vertraulichen Bericht warnt sie vor einer möglichen neuen Migrationswelle – ausgelöst durch die instabile Lage in der Türkei und im Nahen Osten.
Insbesondere die politischen Entwicklungen in der Türkei, darunter die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu, könnten zu einem Anstieg türkischer Asylbewerber führen.
Die Situation in Syrien bleibt ohnehin angespannt. In den Regionen Latakia, Tartus und Homs kommt es wieder verstärkt zu Ausschreitungen – die syrische Küstenwache gilt als geschwächt, Schleusernetzwerke könnten sich neu formieren.
Reformen – viel Papier, wenig Praxis
Die EU will mit der im vergangenen Jahr verabschiedeten Asylreform gegensteuern. Ab 2026 sollen schnellere Verfahren, geschlossene Lager an den Außengrenzen und eine fairere Verteilung greifen. Doch schon jetzt ist klar: Der Widerstand in mehreren Mitgliedsstaaten ist groß.
Ungarn lehnt die geplanten Grenzverfahren kategorisch ab. „Wir werden keine Migrantenlager errichten“, stellte Europaminister Janos Boka klar. Auch andere Länder dürften zögern – der politische Rückhalt für eine harte EU-Migrationspolitik ist brüchig.
Technikprobleme inklusive
Auch das technische Herzstück der Reform, das Entry-Exit-System (EES), bereitet Sorgen. Eigentlich sollte das neue digitale Kontrollsystem schon 2024 starten – jetzt ist Oktober 2025 anvisiert. Grund: IT-Probleme, unklare Zuständigkeiten, fehlende Infrastruktur.
Bis dahin heißt es weiter: Handstempel für alle Drittstaatsangehörigen. Ein Rückschritt, der die Kontrollen an den Grenzen nicht gerade effizienter macht.
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