Der Solar-Boom und seine Schattenseiten
Deutschland baut seine Solarenergie weiter massiv aus – doch was als umweltpolitische Erfolgsgeschichte begann, entwickelt sich zunehmend zur Belastung für das Stromnetz.
Mit 90 Gigawatt installierter Leistung sind deutsche Solaranlagen bereits jetzt eine wesentliche Energiequelle, doch das politisch gesetzte Ziel, bis 2030 auf 215 Gigawatt zu kommen, könnte das System an seine Grenzen bringen.
Andreas Feicht, Vorstandsvorsitzender des Versorgers Rheinenergie und ehemaliger CDU-Staatssekretär, warnt davor, dass die Photovoltaik (PV) ohne zusätzliche Steuerungsmaßnahmen „das System an den Rand der physikalischen Leistungsfähigkeit“ bringen könnte.
Die derzeitige Ausrichtung des Ausbaus, so Feicht, sei problematisch: Der Schwerpunkt liege zu stark auf PV-Anlagen, die oft in Form von Dachinstallationen und kleinen Solarfarmen realisiert werden.
Dies führe dazu, dass an sonnigen Tagen enorme Strommengen produziert werden, die Netzbetreiber an ihre Kapazitätsgrenzen bringen und regionale Engpässe verursachen können.
Die jüngste Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) stützt diese Einschätzung: Die PV-Produktion konzentriert sich stark auf die Mittagsstunden, was eine flexible Steuerung der Netze erschwert und kostspielige Netzausbauten erfordert.
Kosten durch ungesteuerten Ausbau steigen rasant
Ein weiteres Problem sieht Feicht in den finanziellen Belastungen, die durch die Photovoltaik entstehen. Der ungebremste Ausbau geht mit erheblichen Kosten einher, da die Integration der PV-Anlagen hohe Investitionen in die Netzinfrastruktur erfordert.
„Der ungesteuerte PV-Zubau sorgt für enorme Kosten im Bereich der Netzintegration“, erklärt Feicht.
iese Kosten seien „frappierend“ und würden die Energiewende teurer machen, als ursprünglich geplant.
Obwohl neuere PV-Anlagen häufig mit Batteriespeichern ausgestattet sind, fehlen Anreize, diese Speicher effektiv zu nutzen. Die Einspeisevergütung und Haushaltsstromtarife bieten kaum Steuerungsanreize, sodass Solarstrom in Spitzenzeiten ins Netz gespeist wird, selbst wenn kein Bedarf besteht. „Diese Ineffizienz kostet das System viel Geld“, betont Feicht.
Ohne eine Anpassung der Vergütungssysteme und der Netzinfrastruktur könnte der weitere PV-Ausbau langfristig eher zur Last als zum Gewinn werden.
Ein Mix aus Windkraft und PV als Lösung?
Für Feicht ist der einseitige Fokus auf Solarenergie ein strategischer Fehler. Stattdessen sollte die Politik stärker auf Windkraft setzen, um die Balance im Energiemix zu verbessern.
Offshore- und Onshore-Windkraft könnten einen erheblichen Beitrag leisten, insbesondere in den Wintermonaten, wenn die Solarproduktion naturgemäß niedrig ist.
„Mehr Wind und weniger Sonne ist da wirklich sinnvoll“, so Feicht.
Nur so könne die Versorgung im Winter und bei Dunkelflauten, wenn weder Sonne noch Wind ausreichend Energie liefern, gesichert werden.
Dunkelflauten – längere Perioden ohne Solar- und Windstrom – zeigten zuletzt, wie dringend Deutschland auf eine breite Energiebasis angewiesen ist. In der vergangenen Woche stieg der Preis für eine Megawattstunde Strom am Spotmarkt auf über 800 Euro, da Solar und Wind zusammen nur vier Prozent des Strombedarfs deckten.
In solchen Phasen ist Deutschland gezwungen, Strom teuer zu importieren oder auf regelbare Kraftwerke zurückzugreifen, die meist auf fossile Energieträger wie Gas angewiesen sind. Dies zeigt laut Feicht, wie notwendig eine diversifizierte und verlässliche Energiebasis ist.
Ohne Speichertechnologie und Gaskraftwerke droht ein Kohleausstieg zu scheitern
Um die volatile Produktion der erneuerbaren Energien zu stabilisieren, sieht Feicht einen erheblichen Nachholbedarf bei Speichern und Gaskraftwerken, die in solchen Mangelsituationen einspringen könnten.
„Deutschland braucht ein zweites Standbein, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind ausbleibt“, erklärt der Rheinenergie-Chef.
Auch Christian Seyfert, Hauptgeschäftsführer des Verbands Industrieller Energie- und Kraftwirtschaft (VIK), weist auf die Notwendigkeit hin, dass Gaskraftwerke zukünftig eine entscheidende Rolle in der Energiesicherung spielen.
Doch die aktuelle Politik biete noch nicht die nötigen Rahmenbedingungen für den Bau solcher Anlagen, da Investoren langfristige Betriebszeiten für ihre Rentabilität benötigen. „Für ein Gaskraftwerk sind mindestens 3000 Stunden Laufzeit im Jahr nötig“, rechnet Feicht vor. Da jedoch für diese Kapazitäten keine verbindlichen Regelungen existieren, bleibt der dringend benötigte Ausbau auf der Strecke.
Eine schwere Ausgangslage für die Klimaziele 2045
Feicht sieht die ambitionierten deutschen Klimaziele kritisch. Das erklärte Ziel der Klimaneutralität bis 2045 sei, insbesondere im europäischen Vergleich, eine Herausforderung.
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Deutschland habe im Gegensatz zu anderen EU-Ländern eine große Industrie und damit einen hohen Energieverbrauch. Gleichzeitig fehlen in Deutschland alternative Energiequellen wie die Kernkraft.
Die Entscheidung, die Klimaneutralität von 2050 auf 2045 vorzuziehen, sei aus heutiger Sicht zu optimistisch gewesen, meint Feicht, der damit die Meinung von FDP-Chef Christian Lindner teilt, der bereits eine Verschiebung auf 2050 forderte.
„Für Deutschland wird es angesichts der hohen Industrieabdeckung und der Abhängigkeit von Energieimporten ein sehr langer Weg“, erklärt Feicht. Es sei wichtig, realistische Zeitpläne zu setzen, die die Umstellung auf erneuerbare Energien berücksichtigen, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden.
Eine dringende Neuordnung der Energiewende
Deutschlands Energiewende hat viel erreicht, doch ohne eine bessere Steuerung der Energiequellen drohen Kostenexplosionen und Netzüberlastungen, die das System destabilisieren könnten.
Feicht fordert deshalb eine Neuausrichtung, die stärker auf einen ausgewogenen Energiemix aus Solar und Windkraft setzt, begleitet von Speichersystemen und regelbaren Gaskraftwerken. Der Erfolg der Energiewende hängt davon ab, wie schnell und effektiv diese Maßnahmen umgesetzt werden – eine Aufgabe, die dringlicher ist als je zuvor.