Der Himmel wird neu vermessen
Wenn bei Airbus von einem „Clean Sheet“ gesprochen wird, geht es nicht um kosmetische Retuschen. Sondern um eine Neudefinition des Fliegens. Auf einem Gipfeltreffen in Toulouse hat Konzernchef Guillaume Faury nun erstmals öffentlich skizziert, wie die nächste Flugzeuggeneration aussehen könnte – nicht morgen, aber übermorgen.
In Dienst gehen soll das neue Modell in der zweiten Hälfte der 2030er-Jahre. Bis dahin will Airbus eine technische Zeitenwende einleiten: mehr Effizienz, mehr Autonomie, weniger Emissionen. Und: weniger Angst vor Boeing.
Denn Faury spricht nicht mehr von „Koexistenz“. Sondern von einem „gloves-off“-Wettbewerb um das Flugzeug der Zukunft. Ein industriepolitischer Showdown, bei dem es nicht nur um Marktanteile geht – sondern um das, was in den kommenden Jahrzehnten überhaupt noch am Himmel stattfinden darf.
Offene Triebwerke: Der größte Eingriff seit Jahrzehnten
Was bisher als Turbofan bekannt war, soll künftig zur offenen Revolution werden. Airbus arbeitet gemeinsam mit CFM – dem Joint Venture von GE Aerospace und Safran – an einem neuen Triebwerkstyp: dem „Open Fan“.
Die Idee: Die Verkleidung des Fans verschwindet, wodurch ein deutlich größerer Luftstrom möglich wird. Das erhöht den Bypass-Ratio dramatisch – von 12:1 auf bis zu 60:1, wie GE-Ingenieur Mohamed Ali erklärt. Physikalisch simpel, wirtschaftlich ambitioniert.
Tests mit einem A380 als fliegendem Labor sind für das Ende dieses Jahrzehnts geplant. Ziel: Bis 2040 ein Serienmodell mit Open-Fan-Antrieb – betrieben mit nachhaltigem Flugkraftstoff. Ein Gamechanger, wenn die Technik hält, was sie verspricht. Und wenn die Lärmschutzbehörden mitspielen.

Faltbare Tragflächen: Raumwunder im Gate-Modus
Große Tragflächen erzeugen mehr Auftrieb, senken den Spritverbrauch – und passen nicht an jedes Gate. Die Lösung liegt in faltbaren Wing-Tips. Was Boeing bei der 777X bereits im Großraumsegment eingeführt hat, will Airbus nun auf die Schmalrumpfklasse übertragen.
Für die neue A320-Nachfolgegeneration – 75 Maschinen pro Monat sind als Zielmarke gesetzt – wäre das ein technologischer Quantensprung. Laut Airbus-Ingenieurin Sue Partridge arbeitet das „Wing of Tomorrow“-Team an hochzuverlässigen Klappmechanismen, die im Dauereinsatz eines Kurzstreckenjets nicht versagen dürfen.
Materialwechsel: Von Kohlefaser zu Thermoplast
Schon die A350 nutzt Kohlefaser-Verbundwerkstoffe. Doch Airbus will weitergehen. Die nächste Materialgeneration könnte aus Thermoplasten bestehen – leichter, widerstandsfähiger, einfacher zu verarbeiten. Reuters berichtete kürzlich, dass sowohl Airbus als auch Boeing an entsprechenden Verfahren arbeiten.
Ziel sei es, die Produktion zu beschleunigen und gleichzeitig die Kosten zu senken. Denn selbst das nachhaltigste Flugzeug wird sich nicht durchsetzen, wenn es nicht auch wirtschaftlich zu bauen ist. Deshalb denkt Airbus die Fertigung neu – mit Robotik, automatisierter Wing-Produktion und neuen Lieferketten.
Autonom vom Band bis zum Rollfeld
Automation endet bei Airbus nicht in der Fabrikhalle. Auch auf dem Rollfeld sollen autonome Systeme übernehmen. In Toulouse ließ Airbus eine erste Version seines autonomen Fahrzeugs „Optimate“ über das Vorfeld fahren – ausgestattet mit Kameras, LIDAR und Radar.
Das Ziel: Selbstständig taxiende Jets, die Linien auf dem Boden folgen, Hindernisse erkennen und selbstständig zum Gate rollen.
In einer Ära zunehmender Luftverkehrsdichte könnte diese Technologie nicht nur die Sicherheit, sondern auch die Effizienz deutlich steigern. Das Thema hat Brisanz: In den USA haben sich 2023 die Beinahe-Zusammenstöße auf Flughäfen verdoppelt.
Warum Wasserstoff gestrichen wurde
Noch vor wenigen Jahren war Airbus der Vorreiter beim Wasserstoffflugzeug. Doch nun rudert der Konzern zurück. Faury spricht offen von einem „Concorde-Moment“: technologisch visionär, aber ökonomisch nicht skalierbar.
Der Wasserstoffjet bleibt vorerst ein Forschungsprojekt – die tatsächliche Nachfolge der A320 wird konventioneller, aber effizienter.
Stattdessen geht Airbus einen evolutionären, aber nicht konservativen Weg. Die neuen Flugzeuge sollen vollständig mit Sustainable Aviation Fuel (SAF) fliegen können – produziert aus Pflanzenöl, Algen oder Speiseabfällen. Der Haken: SAF ist teuer und kaum verfügbar. Noch.