Marktlogik gegen Geopolitik
89 Prozent aller neuen Hapag-Lloyd-Schiffe stammen aus chinesischen Werften. Wirtschaftlich war das bislang ein kluger Schachzug: Der Preis ist rund 20 Prozent günstiger als bei japanischen oder koreanischen Anbietern, die Qualität marktüblich, die Lieferkapazitäten zuverlässig.
Doch was ökonomisch vernünftig war, wird nun zum geopolitischen Risiko – und könnte teuer werden.
Denn die USA planen, für Frachter aus chinesischer Produktion drastisch höhere Hafengebühren zu verlangen. Wer künftig mit Schiffen „Made in China“ in amerikanischen Häfen anlegt, soll zwischen 500.000 und 1 Million Dollar zahlen – je nach Baujahr und Anzahl weiterer China-Bestellungen.
Es wäre ein wirtschaftlicher Gegenschlag, der vor allem europäische Reedereien ins Mark treffen würde. Allen voran: Hapag-Lloyd, CMA CGM und MSC.
Washington dreht den Spieß um
Die geplante Maßnahme entspringt einer Mischung aus geopolitischem Kalkül und wirtschaftspolitischer Frustration. Die USA haben seit Jahrzehnten den globalen Schiffbau an Asien verloren – heute liegt ihr Marktanteil bei 0,1 %. Selbst wenn amerikanische Reedereien patriotisch bestellen wollten, fehlt es an Werften, Arbeitern und Kapazitäten.
Also sollen nun über Strafgebühren Anreize geschaffen werden, um die Abhängigkeit von Chinas Werften zumindest einzudämmen – oder teuer zu machen.

Zugleich zielt der Schritt klar auf Peking: China baut längst nicht nur Containerschiffe, sondern auch Kriegsschiffe, Eisbrecher und Flugzeugträger im selben Werftkomplex.
Dass zivile und militärische Produktion bei der CSSC verschwimmen, sorgt im Westen für wachsende Nervosität – und füttert die Debatte über „wirtschaftliche Waffenfähigkeit“.
Europas Reeder im Kreuzfeuer
Für Europas Linienreedereien wäre eine Umsetzung der US-Pläne ein finanzieller Tiefschlag. Schon heute liegt der Anteil chinesisch gebauter Schiffe bei Hapag-Lloyd bei fast 90 % aller Neubestellungen.
Bei MSC sind es sogar 92 %. Die wirtschaftliche Logik ist bestechend – aber auch abhängig: Nur China verfügt aktuell über die Kapazitäten, um große Flottenmodernisierungen in kurzer Zeit abzuwickeln.
Wenn Washington seine Gebührenpläne durchsetzt, könnte sich das rasch in der Bilanz niederschlagen. Laut World Shipping Council würden sich bei einem einzelnen Großcontainerschiff mit mehreren USA-Anläufen pro Reise schnell zusätzliche Kosten von 10 bis 12 Millionen Dollar pro Jahr ergeben.
Solche Summen lassen sich nicht einfach wegkalkulieren – sie würden entweder an Kunden weitergereicht oder die Profitabilität massiv schmälern.
Marktverzerrung oder strategischer Weckruf?
Branchenkenner wie Jan Tiedemann von Alpha Liner bestätigen: Die Kritik an der Dominanz chinesischer Werften ist berechtigt – nur fehlt es an Alternativen. Südkorea und Japan könnten allenfalls Teile der Nachfrage abfangen, doch ihre Kapazitäten sind begrenzt und teurer.
Europa hat seine Schiffbauindustrie in den vergangenen Jahrzehnten fast vollständig verloren – die verbliebenen Werften spezialisieren sich meist auf Nischenmärkte wie Kreuzfahrt oder Marine.
Der US-Vorschlag ist daher auch ein politischer Hilferuf: Wer wirtschaftliche Abhängigkeit wirklich reduzieren will, muss langfristig Standortpolitik betreiben – mit Industriepolitik, Ausbildungsoffensiven und strategischer Investition.
Stattdessen wird nun mit kurzfristiger Kostenpolitik gearbeitet – die ausgerechnet jene trifft, die sich dem globalen Wettbewerb stellen.
Was bedeutet das für Hapag-Lloyd & Co.?
Offiziell äußern sich die europäischen Reedereien nicht. Doch intern dürften längst Notfallpläne auf dem Tisch liegen: Routenanpassungen, Hafenumgehungen, Vertragsklauseln für Neubauten. Denkbar ist auch, dass künftige Bestellungen stärker auf Südkorea verlagert werden – sofern man dort überhaupt zum Zug kommt.
Ein Rückzug aus China wäre zwar geopolitisch erwünscht, wirtschaftlich aber nicht kurzfristig umsetzbar. Die Dynamik der letzten 20 Jahre lässt sich nicht in einem Haushaltsjahr umkehren. Und solange China der einzige Anbieter mit echter Massenfertigung ist, bleibt seine Werftenmacht bestehen – egal, wie hoch Washington die Gebühren ansetzt.
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