Der Überraschungsangriff aus Mailand
Es ist Mittwoch, später Nachmittag, als bei der Commerzbank in Frankfurt plötzlich die Alarmglocken schrillen. Die Nachricht aus Mailand schlägt ein wie eine Bombe: Die italienische Unicredit hat neun Prozent der Anteile der Commerzbank gekauft – ohne große Vorwarnung. Die Reaktion in den Frankfurter Büros? Fassungslosigkeit.
„Dass die Italiener jetzt zuschlagen, war nicht auf unserem Radar“, berichtet ein Mitglied des Aufsichtsrates im vertraulichen Gespräch.
Ein anderer wird deutlicher: „Das ist ein feindlicher Akt.“ Unicredit legt damit die Basis für eine Übernahme – und die Commerzbank steht unter Schock.
Berlin im Dilemma
Doch nicht nur in Frankfurt brodelt es. Auch in Berlin hat der Vorstoß aus Mailand für Unruhe gesorgt. Die Bundesregierung hält nach wie vor 12 Prozent der Anteile an der Commerzbank. Zwar möchte man diese schon lange verkaufen, doch eine Übernahme durch Unicredit? Das war so nicht geplant.
„Der Bund wollte die Commerzbank wieder in die Freiheit entlassen – jetzt droht sie, in ausländische Hände zu geraten“, erklärt ein Insider aus dem Finanzministerium.
Was für die Bankenunion Europas ein Fortschritt sein könnte, ist aus nationaler Sicht ein Albtraum. Schließlich spielt die Commerzbank eine Schlüsselrolle im deutschen Mittelstand.
„Wir wollen allein bleiben, weil wir es können“, heißt es aus dem Aufsichtsrat der Commerzbank.
Übernahme: Ein kluger Schachzug?
Rein betriebswirtschaftlich betrachtet, könnte der Deal für beide Banken Sinn machen. Unicredit-Chef Andrea Orcel plant seit langem, seinen Marktanteil in Deutschland auszubauen.
Die Commerzbank, die noch vor wenigen Jahren selbst in schweren Turbulenzen steckte, hat sich stabilisiert und einen Rekordgewinn eingefahren. Doch mit ihrem vergleichsweise niedrigen Börsenwert ist sie ein gefundenes Fressen für Übernahmepläne.
„Auf dem Papier ergibt das Ganze Sinn“, sagt der Vermögensverwalter Filippo Alloatti. „Die HypoVereinsbank, die bereits zu Unicredit gehört, ist stark im Investmentbanking. Die Commerzbank hingegen hat ihre Stärke im Mittelstandsgeschäft.“ Synergiepotenziale sind also da – auf dem Papier.
Die Angst vor der Vergangenheit
Was die Übernahme besonders pikant macht: Viele Banker in Frankfurt erinnern sich nur zu gut an die Übernahme der HypoVereinsbank durch Unicredit im Jahr 2005.
Damals wurde die HVB, die zweitgrößte Bank Deutschlands, quasi zu einer Tochter der Italiener degradiert. Mitarbeiterabbau, Zentralisierung, der Verlust von Entscheidungskompetenz – die Erinnerungen sind noch frisch.
Ein Arbeitnehmervertreter bringt es auf den Punkt:
„Wir haben uns nicht jahrelang den Arsch aufgerissen, damit uns jetzt jemand schluckt.“
Die Commerzbank hat in den letzten Jahren Tausende Stellen abgebaut, sich durch die Krise gekämpft und endlich die Kurve gekriegt. Eine Übernahme würde all das wieder infrage stellen.
Europas Bankenunion – ein zweischneidiges Schwert
Dass Europas Banken stärker zusammenwachsen sollen, ist politisch gewollt. Zu oft haben kleinere Institute in der Vergangenheit Probleme verursacht. Eine stärkere Konsolidierung könnte die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Banken im globalen Vergleich verbessern. Unicredit-Chef Orcel argumentiert genau in diese Richtung.
Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, ist überzeugt:
„Europa braucht Bankenchampions, die global mithalten können.“
Doch die Kehrseite der Medaille? Die „too big to fail“-Problematik. Banken, die so groß sind, dass ihre Pleite ganze Volkswirtschaften gefährden könnte, will niemand.
Was jetzt?
Noch gibt es keine offizielle Übernahmeofferte von Unicredit, doch die Weichen sind gestellt. In den nächsten Wochen wird der Druck auf die Commerzbank steigen – aus Mailand, aber auch aus Berlin. Die Bundesregierung, die ihre Anteile an Unicredit verkauft hat, ohne die Konsequenzen vollständig zu bedenken, wird sich der Frage stellen müssen:
„Wollen wir wirklich, dass Deutschlands zweitgrößte Bank italienisch wird?“
Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Aber klar ist: Unicredit wird es nicht leicht haben, sich die Commerzbank einzuverleiben.