Ein Koalitionsvertrag unter Finanzierungsvorbehalt
Es ist ein bemerkenswerter Satz für ein Regierungsprogramm, und er steht unscheinbar auf Seite 51, Zeile 1627:
„Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.“
Ein Satz, der das ganze Papier in ein neues Licht rückt – und signalisiert: Vieles ist politischer Wille, wenig davon politisches Versprechen.
Dabei klang es anfangs anders. CDU, CSU und SPD hatten nach zähen Verhandlungen einen 146 Seiten starken Koalitionsvertrag vorgestellt, der große Projekte ankündigt: mehr Rente für Mütter, ein Mindestlohn von 15 Euro, Steuerentlastungen für Unternehmen. Doch kaum war die Tinte trocken, kamen die ersten Relativierungen.
Klingbeil bremst Erwartungen – und eröffnet Konfliktlinien
SPD-Chef Lars Klingbeil stellte klar: Die Umsetzung hänge an der Kassenlage. Der Finanzierungsvorbehalt sei bewusst gesetzt, „weil wir wissen, was wir uns leisten können – und was nicht“. Damit lässt die Koalition Spielraum. Für Haushaltsverhandlungen. Für Prioritätensetzungen. Für Rückzieher.
Union und SPD wollen regieren, aber nicht garantieren. Und das eröffnet gleich zu Beginn Konfliktpotenzial. So etwa beim Thema Mütterrente, das CSU-Chef Markus Söder im Wahlkampf zur Priorität erklärt hatte. Doch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch betont im Politico-Podcast: Auch dieses Vorhaben stehe unter dem Finanzierungsvorbehalt.
CSU-Vize Dorothee Bär hält dagegen. Für sie ist klar:
„Die Mütterrente kommt – ganz sicher.“
Und sie schließt Steuererhöhungen dafür kategorisch aus. Wie beides zusammenpassen soll, bleibt offen.

Mindestlohn: Symbolpolitik trifft Wirtschaftsrealität
Beim Thema Mindestlohn zeigt sich ebenfalls, wie schnell große Ziele an ökonomischen Rahmenbedingungen scheitern können. Die SPD hatte sich auf 15 Euro bis 2026 festgelegt.
Doch Jens Spahn, CDU-Fraktionsvize, nennt dieses Ziel „unwahrscheinlich“. Das Problem: Die im Vertrag vorgesehene Koppelung an den Medianlohn lässt wenig Spielraum für politische Schnellschüsse. Ohne entsprechende Tarifsteigerungen bleibt der Mindestlohn ein Wunsch – kein Ziel.
Die Mindestlohnkommission, die formal unabhängig ist, soll über die Erhöhung entscheiden. Das politische Ziel von 15 Euro bleibt damit bestenfalls eine Orientierung – aber eben keine Garantie. Wieder ein Fall von „Wir wollen“ statt „Wir werden“.
Wirtschaft bekommt Klarheit – zumindest auf dem Papier
Der designierte Kanzler Friedrich Merz gibt sich währenddessen betont entschlossen. Entlastungen für Unternehmen sollen kommen – auch wenn bei Sozialausgaben noch gerechnet wird.
„Die deutsche Wirtschaft hält viel aus, aber keine Unsicherheit“, sagte Merz in der ARD. Er kündigt Einsparungen an: weniger Beauftragte, weniger Verwaltungsaufwand. Doch auch hier bleibt offen, wo genau gespart werden soll – und wie viel diese Maßnahmen tatsächlich bringen.
Die Grünen sehen eine Liste ohne Priorität
Opposition kommt vor allem von den Grünen. Franziska Brantner spricht von einer „Themensammlung ohne Entscheidung“. Die Regierung habe zwar vieles aufgeschrieben, aber nichts priorisiert. Der Finanzierungsvorbehalt diene als Vorwand, um sich vor klaren Festlegungen zu drücken.
Das ist mehr als nur politischer Kommentar – es trifft einen wunden Punkt. Wer alles unter Vorbehalt stellt, regiert faktisch auf Abruf. Es fehlt an Verbindlichkeit. An Klartext. An Verantwortung für konkrete Umsetzung.
Ein Koalitionsvertrag wie ein Kassenbon
Seite 51 könnte sich als entscheidender Wendepunkt dieses Koalitionsvertrags erweisen. Denn sie markiert den Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Zwischen Regierungspapier und Haushaltsrealität. Und sie zeigt: Diese Koalition will führen, ohne sich festzulegen. Das kann klug sein – oder gefährlich.
Denn politische Glaubwürdigkeit bemisst sich nicht an Versprechungen, sondern an Taten. Und wer heute regiert, muss morgen liefern. Seite 51 bleibt – im Zweifel – die Exit-Strategie.
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