Es war ein Moment, der in der Geschichte der Alternative für Deutschland wohl kaum vergessen wird – zumindest, wenn man Parteichef Tino Chrupalla Glauben schenken mag.
Am vergangenen Samstag präsentierte sich die AfD erstmals mit einer Kanzlerkandidatin: Alice Weidel, 45, führt die Partei in die nächste Bundestagswahl.
Was Chrupalla als „historischen Tag“ für die Partei feierte, wirkte auf viele wie der Versuch, mit kühner Inszenierung über alte Risse hinwegzuschminken.
„Eine Stürmerin“ im Team AfD – und viele offene Fragen
Mit mehr als 100 Journalisten im Raum und einem Tross an AfD-Funktionären inszenierte sich die Partei in der Bundesgeschäftsstelle als kraftvolle Alternative zu einer angeblich „gescheiterten Bundesregierung“.
Chrupalla, der sich selbst als „Libero“ in diesem politischen Fußballteam sieht, lobte Weidel in den höchsten Tönen und betonte die Einigkeit des Vorstands. Dass hinter den Kulissen längst nicht alle überzeugt sind, Weidel könne die Partei in neue Höhen führen, wurde nicht erwähnt.
Auch die Frage, warum die Partei eine „Stürmerin“ brauche, während sie im Bundestag weiterhin auf Doppelspitzen setzt, blieb nebulös.
Die Kernbotschaften: Anti-Klimapolitik und Abschottung
Weidel ließ sich von der Gelegenheit nicht nehmen, die politische Konkurrenz scharf zu attackieren. Deutschland stehe in einer seiner schwersten Krisen, sagte sie, was wenig subtil eine Abkehr von grüner Klimapolitik und den Rückgriff auf fossile Energien implizierte. Kernkraftwerke wieder hochfahren, moderne Kohlekraftwerke erhalten und Gas aus beliebigen Quellen fördern – das seien die Pfeiler eines wirtschaftlichen Comebacks.
Ihre Forderungen gipfelten in der Aussage, man müsse „Flatterstrom“ – ein Seitenhieb auf erneuerbare Energien – abschaffen. Der Applaus ihrer Parteikollegen war Weidel sicher.
Doch besonders deutlich wurde die AfD-Kanzlerkandidatin bei ihrem zweiten großen Thema: der Migrationspolitik. Sozialleistungen für Migranten, die nicht in Deutschland gearbeitet haben, sollen gestrichen und stattdessen Sachleistungen eingeführt werden. Abschiebungen, vor allem für Straftäter, kündigte sie mit markigen Worten an, die inhaltlich an alte, populistische Rhetorik erinnerten.
Familienpolitik: Der heikle Punkt für Weidel
Interessant wurde es, als Weidel auf das Thema Familie einging – ein Bereich, in dem konservative AfD-Anhänger die Homosexualität ihrer Spitzenkandidatin kritisch beäugen.
Zwar betonte sie, dass die Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ gestärkt werden müsse, ließ jedoch offen, wie diese konkret definiert werden soll. Auf Kritik aus LGBTQ-Kreisen reagierte sie mit einem Seitenhieb: „Die Queerbeauftragten haben von meiner Lebenswirklichkeit keine Ahnung.“
Wahlziel: Möglichst viel
Offiziell will die AfD mit Weidel an der Spitze mindestens 20 Prozent der Stimmen holen, so Co-Chef Chrupalla. In Umfragen liegt die Partei aktuell zwischen 17 und 19 Prozent und scheint sich in der Rolle als Protestpartei zu gefallen. Doch wie viel Substanz steckt hinter der Selbstdarstellung?
Kritik von außen beschreibt die AfD oft als „Propaganda der Altparteien“, ohne jedoch tiefgreifende Lösungen für komplexe Themen anzubieten. Die Selbstinszenierung als „Friedenspartei“ angesichts des Ukrainekriegs wirkte wie ein weiteres Beispiel für schlichte Parolen statt nachhaltiger Konzepte.