19. September, 2024

Crime

Wie der IS Europas Sicherheitsbehörden alt aussehen lässt

Der Islamische Staat hat eine neue Strategie – die „einsamen Wölfe“. In Deutschland und ganz Europa radikalisieren sich immer mehr Einzeltäter online. Und die Behörden? Die sind oft machtlos. Wie konnte es soweit kommen?

Wie der IS Europas Sicherheitsbehörden alt aussehen lässt
Immer mehr Einzeltäter, die sich durch den IS radikalisieren, sorgen für blutige Angriffe in Deutschland und Europa.

Ein Stadtfest in Solingen, Menschen lachen, genießen den Abend. Plötzlich sticht ein Mann wahllos auf sie ein. Drei Tote, acht Verletzte. Der Täter? Ein 26-jähriger Syrer, radikalisiert durch die Propaganda des Islamischen Staats (IS).

Ein „einsamer Wolf“, wie die Experten ihn nennen. Und dieser Begriff steht für eine Bedrohung, die Europa und vor allem Deutschland immer mehr zu schaffen macht.

Was ist passiert? Der IS hat seine Strategie geändert. Keine gut organisierten Terrorzellen, keine großen Netzwerke mehr. Stattdessen setzt die Terrormiliz auf Einzeltäter, die sich alleine radikalisieren – meist durch das Internet. Die Herausforderung für die Sicherheitsbehörden? Enorm. Denn wer nicht mit anderen kommuniziert, hinterlässt keine Spuren, die man verfolgen könnte. Die Täter sind unsichtbar – bis sie zuschlagen.

Junge Menschen geraten schnell in die Spirale islamistischer Propaganda – für die Sicherheitsbehörden ein schwer überwachbares Feld.

Der IS rekrutiert über TikTok

Früher fand Radikalisierung in Moscheen oder Geheimtreffen statt. Heute passiert das auf TikTok. Ja, TikTok. Die Plattform, auf der sonst Tanzvideos viral gehen, ist inzwischen auch zum Tummelplatz für extremistische Propaganda geworden. Junge Menschen, die den Algorithmus einmal mit entsprechenden Inhalten füttern, werden regelrecht in eine Spirale der Radikalisierung gezogen.

Ein 18-jähriger Islamist in München zum Beispiel

Radikalisiert auf TikTok, kurz davor, das israelische Konsulat anzugreifen. Nur durch schnelles Eingreifen der Polizei konnte eine Katastrophe verhindert werden. Das Problem: Solche Fälle bleiben oft lange unbemerkt.

„Ohne Kommunikation mit anderen Terroristen ist es für die Behörden extrem schwer, solche Attentäter frühzeitig zu identifizieren“, erklärt Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project.

Die „einsamen Wölfe“ agieren in der Stille des Internets.


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Propaganda, die zieht – und die Behörden schauen zu

Seit dem Angriff der Hamas auf Israel im Oktober hat der IS noch einmal einen Gang hochgeschaltet. Obwohl die Hamas selbst dem IS als „vom Glauben abgekommen“ gilt, nutzt die Terrormiliz den Nahost-Konflikt geschickt für ihre Propaganda.

„Deutschland steht im Fadenkreuz der Dschihadisten und ihrer Propaganda“, heißt es weiter in dem Bericht.

Jugendliche, die sich ohnehin mit anti-israelischen Gefühlen beschäftigen, werden gezielt angesprochen und aufgestachelt.

Die Folge? Ein Anstieg von Einzeltäter-Attacken in ganz Europa. In Frankreich stach ein 20-Jähriger auf eine Schule ein, in Brüssel schoss ein 45-Jähriger auf Fußballfans.

Beide inspiriert von der neuen Propaganda des IS, der nach dem 7. Oktober eine gezielte „Post-7.-Oktober-Strategie“ fährt, wie Experten es nennen. Das Ziel: Die aufgeheizten Emotionen in konkrete Gewalttaten zu verwandeln.

Deutschland im Fadenkreuz

Deutschland ist längst Teil dieses Problems. Neben Solingen und München zeigt der Fall aus Hof, wie präsent diese Bedrohung ist. Dort wollte ein junger Syrer mit einer Machete in eine Bundeswehrkaserne eindringen und möglichst viele Soldaten töten. Wieder ein Einzeltäter, wieder radikalisiert durch den IS.

Laut dem Soufan Center, einer US-Denkfabrik, ist Deutschland inzwischen verstärkt im Visier des IS. Die Propaganda der Terrororganisation fokussiert sich auf Europa – und Deutschland ist ein Hauptziel. Auch Hans-Jakob Schindler sieht in Deutschland keinen besonderen Fokus, sondern ein europäisches Phänomen. Doch egal, wie man es dreht und wendet: Die deutschen Sicherheitsbehörden sind alarmiert.

Die Zahl der islamistischen Einzeltäter wächst – die Sicherheitsbehörden sind auf der Jagd nach unsichtbaren Feinden.

Die Sicherheitsdienste kämpfen auf verlorenem Posten

Und hier liegt das eigentliche Problem. Deutschland ist gut darin, große Terrornetzwerke zu zerschlagen, das hat die Vergangenheit gezeigt. Aber die „einsamen Wölfe“ sind eine andere Nummer.

Die neuen Rekruten des IS agieren allein, sprechen mit niemandem, sondern folgen nur der Propaganda aus dem Netz. Und hier kommen die Sicherheitsbehörden an ihre Grenzen.

Der IS weiß das.

„Was früher in einer Hinterhofmoschee geplant wurde, findet heute in Chatgruppen oder auf TikTok statt“, erklärt Schindler.

Ohne Zugriff auf diese Kommunikation bleibt der Staat blind. Die sogenannte Quick-Freeze-Regelung erlaubt es in Deutschland nur bei Verdachtsmomenten, Daten zu speichern. Für eine umfassende Überwachung, wie sie etwa in den USA üblich ist, fehlen die gesetzlichen Grundlagen.

Die unsichtbare Gefahr wächst

Der IS hat seine Strategie perfekt an die digitale Welt angepasst. Mit Social Media als Waffe rekrutiert die Terrororganisation Einzeltäter, die kaum zu stoppen sind. Die Behörden in Deutschland stehen diesem neuen Phänomen oft machtlos gegenüber.

Und die Gefahr? Sie wird nicht verschwinden. Im Gegenteil: Solange die Propaganda des IS im Netz weiter wuchern kann, werden die „einsamen Wölfe“ weiterhin zuschlagen.