16. Januar, 2025

Healthcare

Sicherheitsrisiko oder Fortschritt? Warum Eltern der elektronischen Patientenakte skeptisch gegenüberstehen

Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) sorgt für kontroverse Diskussionen. Kinderärzte warnen vor Sicherheitslücken und möglichen Missbrauchsszenarien – insbesondere bei sensiblen Familiensituationen.

Sicherheitsrisiko oder Fortschritt? Warum Eltern der elektronischen Patientenakte skeptisch gegenüberstehen
Der Chaos Computer Club deckte gravierende Schwachstellen der elektronischen Patientenakte auf – Hacker könnten potenziell auf 70 Millionen Datensätze zugreifen.

Der Startschuss für die elektronische Patientenakte fällt – doch die Bedenken wachsen. Schon vor der bundesweiten Einführung der ePA schlägt die Kritik hohe Wellen.

Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, rät Eltern, der Datenerfassung ihrer Kinder zu widersprechen.

Seine Hauptsorge: Die Rechte von Kindern und Jugendlichen sind unzureichend geschützt, während potenzielle Sicherheitslücken Tür und Tor für Missbrauch öffnen könnten.

Ab dem 15. Januar wird die elektronische Patientenakte zunächst in Modellregionen wie Hamburg und Franken getestet, bevor sie deutschlandweit ausgerollt wird.

Das ambitionierte Ziel: die zentrale Speicherung von Arztbriefen, Befunden, Medikationsplänen und Röntgenbildern. Ärzte sollen auf einen Blick alle relevanten Informationen sehen können – von Hausärzten über Psychiater bis hin zu Onkologen. Doch genau diese Transparenz birgt Risiken.

Gefährliche Einblicke

Ein besonderes Problem sieht Hubmann bei Trennungsfamilien. Informationen, die früher ausschließlich in der Praxisdokumentation verblieben, wären nun potenziell für beide Elternteile einsehbar.

„Wenn ein Elternteil Verdachtsmomente gegen den anderen äußert, könnte dies bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung ausgenutzt werden“, warnt der Kinderarzt.

Noch gravierender sei der Fall von Kindeswohlgefährdungen. Sollte ein Elternteil als Täter verdächtigt werden, müsse unbedingt verhindert werden, dass dieser Zugang zu sensiblen Einträgen hat. Aktuell fehlen jedoch klare Regelungen, wie solche Situationen gehandhabt werden sollen.

Vertrauliche Informationen in Gefahr: Kritiker warnen, dass bei Trennungsfamilien sensible Einträge wie Verdachtsmomente gegen Elternteile missbraucht werden könnten.

Verletzung des Selbstbestimmungsrechts

Auch die Behandlung von Jugendlichen wirft heikle Fragen auf. Ein Beispiel ist die Verschreibung der Antibabypille an minderjährige Mädchen, die dies ohne elterliches Wissen wünschen.

In der Praxis ließe sich dies bislang diskret dokumentieren, doch mit der ePA würden solche Einträge für die Eltern sichtbar. Hubmann fordert deshalb eine Balance zwischen Dokumentationspflicht und ärztlicher Schweigepflicht, um das Selbstbestimmungsrecht der Jugendlichen zu schützen.

Sicherheitslücken und Hackergefahr

Ein weiteres drängendes Problem sind die Sicherheitsrisiken der digitalen Infrastruktur. Der Chaos Computer Club (CCC) deckte kürzlich gravierende Schwachstellen auf: „Wir konnten uns Fernzugang zu sämtlichen Patientenakten verschaffen, ohne dafür eine Gesundheitskarte zu benötigen“, berichtete ein Experte.

Diese Lücke, so der CCC, mache die Daten von über 70 Millionen Versicherten angreifbar. Angesichts solcher Gefahren fordern Kritiker wie Hubmann, die Einführung der ePA aufzuschieben, bis ein vollständig sicheres System gewährleistet ist.


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Das Gesundheitsministerium beschwichtigt

Das von Karl Lauterbach geführte Bundesgesundheitsministerium sieht hingegen keinen Anlass zur Verzögerung. Man habe gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik ein umfassendes Maßnahmenpaket entwickelt, um die Sicherheitsmängel zu beheben.

Die Pilotphase solle zeigen, dass alle Schwachstellen adressiert wurden. Doch viele Ärzte und Datenschützer bleiben skeptisch.

Vertrauensverlust bei Patienten droht

Silke Lüder, Vize-Vorsitzende der Freien Ärzteschaft, sieht in der Einführung der ePA eine Gefahr für das Arzt-Patienten-Verhältnis: „Wenn Patienten befürchten müssen, dass ihre vertraulichen Informationen nicht mehr geschützt sind, könnten sie künftig weniger offen über ihre Beschwerden sprechen.“

Dies würde die Diagnosestellung und Behandlung erheblich erschweren – mit potenziell fatalen Folgen für die Gesundheitsversorgung.