16. April, 2025

Politik

Abschottung um jeden Preis – Wie Mauretanien zur Schattenmauer Europas wurde

Seit dem Migrationsabkommen mit der EU verschärft Mauretanien sein Vorgehen gegen Migranten. Verhaftungen, Nacht-Razzien und Massenabschiebungen treffen auch Menschen mit gültigen Papieren. Für die EU wird die Partnerschaft zur moralischen Belastungsprobe.

Abschottung um jeden Preis – Wie Mauretanien zur Schattenmauer Europas wurde
Seit dem EU-Deal im Jahr 2024 hat Mauretanien laut Regierung über 120.000 Menschen zur Ausreise gedrängt – viele ohne rechtsstaatliches Verfahren, oft ohne gültige Möglichkeit zur Visa-Verlängerung.

Repression statt Registrierung

Wer im März am Hafen von Nouadhibou war, konnte das neue Gesicht europäischer Migrationspolitik live erleben: Polizeikontrollen, Nacht-Razzien, Verhaftungen auf offener Straße.

Ausländer, selbst mit Visum oder gültiger Aufenthaltserlaubnis, werden abgeschoben – oft ohne Verfahren, ohne Vorwarnung, ohne rechtlichen Beistand.

Mauretanien, ein Staat mit fünf Millionen Einwohnern, entwickelt sich zur zentralen Abschottungszone vor den Küsten Europas. Möglich gemacht hat das ein 210 Millionen Euro schwerer Migrationsdeal mit der EU.

Offiziell zur „gemeinsamen Bekämpfung irregulärer Migration“. Inoffiziell ist daraus eine Abschiebezentrale geworden – mit europäischen Geldern.

Die Zahlen kennt niemand – die Folgen sind sichtbar

Wie viele Menschen seit dem Inkrafttreten des Abkommens im Januar 2024 festgenommen oder außer Landes gebracht wurden, bleibt unklar. Die mauretanische Regierung schweigt – europäische Institutionen schauen weg. Sicher ist: Die Zahl der Boote Richtung Kanaren steigt weiter.

Über 12.000 Menschen erreichten allein im ersten Quartal 2025 die spanischen Inseln – doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum.

Es zeigt sich, was Fachleute seit Jahren kritisieren: Repression bremst Migrationsströme nicht – sie verlagert sie. Und sie verschärft die Lage für die Menschen, die unterwegs sind, oft unter Lebensgefahr.

Migrationspolitik mit europäischen Absendern

Während die EU von „Wahrung der Rechte und Würde“ spricht, berichten Betroffene von Nachtabschiebungen, Gewalt und Behördenschikane. Menschen wie Amadou Diagne, ein senegalesischer Bauarbeiter, erzählen von Polizisten in Zivil, die Arbeiter direkt von Baustellen abführen.

210 Millionen Euro flossen bisher aus Brüssel nach Nouakchott – als Gegenleistung für Abschiebungen, Grenzkontrollen und das Aufgreifen von Migranten vor der Überfahrt nach Europa.

Ein Maurer sei morgens auf dem Weg zur Arbeit verhaftet und noch am selben Tag ohne Gerichtsverfahren an die Grenze gebracht worden – mit Hunderten anderen.

Gleichzeitig sind spanische Polizisten vor Ort, patrouillieren mit mauretanischen Beamten, werten Informationen aus. Seit der „Cayuco-Krise“ 2006 ist Spanien militärisch und geheimdienstlich in Nouakchott präsent – jetzt mehr denn je.

Politische Entlastung, moralisches Risiko

Für europäische Regierungen, allen voran Madrid und Brüssel, ist die Partnerschaft mit Mauretanien ein kalkulierter Deal: Kontrolle gegen Cash. Für Mauretanien ist es eine Einnahmequelle.

Für viele Migranten bedeutet sie das Ende aller Hoffnung – und oft einen sozialen Absturz. Wer abgeschoben wird, landet nicht selten mittellos an der Grenze zu Mali oder Senegal – in Regionen, in denen staatliche Infrastruktur kaum existiert.

Dabei ist der Druck auf die Betroffenen oft subtil: In vielen Fällen ist es faktisch unmöglich, den Aufenthalt zu verlängern. Einfache Verwaltungshandlungen wie Visa-Erneuerung werden zum unlösbaren Problem. Die Behörden reagieren mit Razzien – nicht mit Reformen.

Rechtstaatlichkeit nur auf dem Papier

Während die EU auf Bürokratie und Rechtsstaat pocht, wird in ihrem Namen längst anders gehandelt. Die Kritik aus Afrika ist deutlich. Malis Außenminister nennt das Vorgehen „einen eklatanten Bruch mit internationalen Regeln“.

Die senegalesische Außenministerin spricht im Parlament von „inakzeptablem Handeln“. Und selbst ein Besuch diplomatischer Delegationen in Nouakchott hat nichts geändert – die Abschiebungen laufen weiter.

Auch die Internationale Organisation für Migration schlägt Alarm. Ihr Büro in Rosso, an der Grenze zwischen Mauretanien und Senegal, ist zur Notunterkunft geworden. Menschen aus Gambia, Guinea, Kamerun, Mali stranden dort – oft ohne Geld, ohne Perspektive, ohne Heimat.

Trotz repressiver Maßnahmen ist die Zahl der Ankünfte auf den Kanaren gestiegen: Im ersten Quartal 2025 kamen über 12.000 Migranten – doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum.

Europas gefährlichster Export: Verantwortung

Die Partnerschaft mit Mauretanien zeigt, wie weit Europa bereit ist zu gehen, um Migrationszahlen zu senken – auch wenn die Maßnahmen offenkundig rechtsstaatliche Standards untergraben. Dass ausgerechnet ein Land mit massiven strukturellen Defiziten zur Schlüsselfigur europäischer Migrationspolitik wird, ist Ausdruck einer Strategie, die lieber auslagert als löst.

Während man sich in Brüssel an Zahlen orientiert, erleben Zehntausende Menschen Repression. Und Europa? Bleibt offiziell stumm – und politisch mitverantwortlich. Die Frage ist längst nicht mehr, ob Mauretanien Menschenrechte verletzt. Die Frage ist: Wie lange Europa bereit ist, das mitzufinanzieren.

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