19. September, 2024

Wirtschaft

Friedenszeit als wirtschaftliches Risiko für Putin?

Der Ukraine-Krieg hat die russische Wirtschaft belebt und stabilisiert. Doch Experten warnen: Ein Ende des Konflikts könnte eine tiefe Wirtschaftskrise auslösen, da die derzeitige Stärke auf Kriegsproduktion und staatlich gelenktem Konsum basiert.

Friedenszeit als wirtschaftliches Risiko für Putin?
Während Russlands Rüstungsindustrie florieren mag, hängt die langfristige Wirtschaftsstabilität von der Fortführung eines Konflikts ab, was eine nachhaltige Friedenswirtschaft infrage stellt.

Die russische Wirtschaft wächst – überraschend und trotz der schweren Sanktionen, die der Westen verhängt hat. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im ersten Halbjahr 2024 um beeindruckende 4,7 Prozent.

Die Zentralbank rechnet nun mit einem Jahreswachstum von bis zu vier Prozent, ein Wert, der im Vergleich zu den stagnierenden Volkswirtschaften des Westens, insbesondere Deutschlands, fast schon wie eine Erfolgsgeschichte wirkt.

Doch diese scheinbare Stabilität beruht auf einem fragilen Fundament: einer Kriegswirtschaft, die das Land auf gefährliche Weise abhängig von anhaltendem militärischen Konflikt macht.

Kremlchef Wladimir Putin steht vor der schwierigen Entscheidung, eine Wirtschaftsumstellung einzuleiten oder die Kriegswirtschaft fortzusetzen, die ihm politische Stabilität und Unterstützung sichert.

Das Fundament der russischen Kriegswirtschaft

Die derzeitige Wirtschaftsstruktur Russlands ist tiefgreifend von zwei zentralen Faktoren abhängig: einem rasch wachsenden staatlich gelenkten Konsum und massiven Staatsausgaben für Rüstung und Militär.

Die Rüstungsindustrie boomt, während hohe Löhne für Soldaten und Arbeiter die Kaufkraft der Bevölkerung steigern. Diese Dynamik hat das verfügbare Einkommen der Russen im zweiten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahr um satte 9,6 Prozent erhöht.

Doch hinter dieser Wachstumsdynamik lauert die Gefahr: Was passiert, wenn der Ukraine-Konflikt endet und die Kriegsproduktion nicht mehr als Wachstumsmotor dient?

Russlands führende Ökonomen sind sich einig: Ein Ende des Krieges könnte die derzeitige Kriegswirtschaft in eine tiefe Krise stürzen. Die Rüstungsindustrie wird noch Jahre benötigen, um die während des Konflikts verbrauchten Ressourcen wieder aufzufüllen.

Allein die Verluste an Panzern und Munition sind enorm. Diese Branche wird daher, unabhängig von einem Friedensschluss, auf absehbare Zeit eine zentrale Rolle in der russischen Wirtschaft spielen.

Trotz beeindruckender Wachstumszahlen im ersten Halbjahr 2024 basiert die russische Wirtschaft auf einem fragilen Fundament der Kriegsproduktion, mit einem Anstieg des BIP, der hauptsächlich durch militärische und staatlich gelenkte Ausgaben getrieben wird.

Kann Russland Friedenswirtschaft?

Das eigentliche Problem liegt jedoch tiefer. Die Kriegswirtschaft hat das Land nicht nur vor einer Rezession bewahrt, sondern es in eine Wachstumsphase katapultiert, die seit der Annexion der Krim 2014 unbekannt war.

Kremlchef Wladimir Putin hat ein System geschaffen, in dem eine breite Schicht der Bevölkerung wirtschaftlich von den militärischen Ausgaben profitiert. Das lässt die Frage aufkommen: Will Putin überhaupt Frieden?

Schließlich könnte ein Ende der militärischen Produktion nicht nur zu einer wirtschaftlichen Krise führen, sondern auch zu einer Erosion seiner Machtbasis.

Für viele Analysten ist klar: Der Übergang zu einer Friedenswirtschaft wird in Russland keine leichte Aufgabe sein. Eine radikale Reduzierung der Verteidigungsausgaben würde eine immense Herausforderung für die russische Elite darstellen. Sie müssten eine Wirtschaft umgestalten, die stark von staatlich gelenkter Militärproduktion abhängt. Zudem besteht die Gefahr, dass die Elite und die Bevölkerung in einer Friedenszeit nicht mehr in gleichem Maße profitieren wie im Kriegszustand, was die politische Stabilität gefährden könnte.

Die Lehren aus der Sowjetunion

Ein Vergleich mit der Sowjetunion mag auf den ersten Blick hinken, doch es gibt Parallelen. In den späten 1980er Jahren geriet das sowjetische System in eine schwere Krise, als die Ausgaben für das Militär untragbar wurden.

Die heutige russische Wirtschaft ist zwar flexibler und marktwirtschaftlicher geprägt, doch die grundlegenden Probleme bleiben bestehen: Eine Abhängigkeit von staatlichen Investitionen und eine strukturelle Schwäche, wenn diese Investitionen zurückgefahren werden.

Ökonomen warnen davor, dass die Rückkehr zu einer „normalen“ Wirtschaft für Russland extrem schwierig wird. Selbst wenn Putin oder seine Nachfolger die Kriegswirtschaft schrittweise abbauen könnten, wird dies erhebliche soziale und wirtschaftliche Verwerfungen nach sich ziehen.

Der Übergang zur Friedensökonomie könnte ein langsamer Prozess sein, begleitet von sinkenden Wachstumsraten, steigender Armut und einem möglichen Rückfall in wirtschaftliche Stagnation.

Der Westen als fehlender Partner

Ein entscheidender Faktor für die wirtschaftliche Zukunft Russlands wird das Verhältnis zum Westen sein. Viele Experten sind sich einig: Ohne westliche Technologie und Investitionen wird Russland Schwierigkeiten haben, seine Wirtschaft zu modernisieren und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Doch die Brücken zu den westlichen Märkten sind durch den Krieg weitgehend abgebrochen, und es ist ungewiss, wann und ob sie wiederhergestellt werden können.