Es ist ein paradoxes Szenario: Noch sind Medikamente ausgenommen von den neuen US-Strafzöllen, doch der deutsche Pharmamarkt gerät trotzdem ins Wanken.
Denn hinter den Kulissen laufen hektische Umlenkungen – viele Hersteller exportieren derzeit Arzneimittel in großem Stil in die USA, um ihre Lager dort vor einer möglichen Zollschranke zu füllen. Die Folge: Deutschland drohen neue Lieferengpässe.
Die Vorwarnung aus Bad Homburg
Helen Giza, Vorstandschefin von Fresenius Medical Care, spricht offen aus, was viele Konzerne nur intern diskutieren: Man habe eine „Zoll-Task-Force“ eingerichtet, um schneller auf die sprunghaften Entscheidungen aus Washington reagieren zu können.
Noch nie war eine solche Einheit nötig – nun ist sie Realität. Und das bei einem Unternehmen, dessen Produkte lebenswichtig sind.
Ein Handelskrieg, der in deutschen Apotheken ankommt
Donald Trumps neue Zolloffensive trifft den Exportweltmeister Deutschland mit voller Wucht – vor allem die Gesundheitsbranche. Denn für Medikamente lassen sich in den USA noch immer die höchsten Preise weltweit durchsetzen. Konzerne wie Bayer, Boehringer Ingelheim, Fresenius, Qiagen und Biontech erzielen bis zu zwei Drittel ihres Umsatzes in Nordamerika.
Dass gerade sie von Zöllen (noch) ausgenommen sind, ist nur scheinbare Entwarnung. Schon jetzt melden Apotheker und Großhändler Warnsignale: Die Umlenkung von Medikamenten in Richtung USA könnte zu kurzfristigen Engpässen führen. Und sollte Trump tatsächlich auch auf Arzneimittel Zölle erheben, droht der Branche eine massive Systemstörung – mit globalen Folgen.

Engpass auf Vorrat?
Schon seit Jahren leidet Deutschland unter wiederkehrenden Versorgungsengpässen. Jetzt droht der nächste Schub – nicht wegen Produktionsausfällen, sondern wegen geopolitischer Lagerpolitik.
Laut ABDA-Präsident Thomas Preis wissen selbst Apotheker nicht mehr, welche Medikamente aktuell noch verfügbar sind – weil Hersteller versuchen, ihre Bestände in den USA zu maximieren, solange es noch möglich ist.
Der Datenanbieter QYOBO zeigt: Die Ausfuhren von Fertigarzneien in die USA haben sich im Januar 2025 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Ein deutliches Indiz für die Nervosität der Branche – und für eine drohende Knappheit auf dem Heimatmarkt.
Zölle auf Wirkstoffe, Transportwege, Reaktionen
Auch ohne direkte Zölle auf Medikamente ist die pharmazeutische Lieferkette extrem anfällig für politische Eingriffe. Wirkstoffe kommen oft aus Asien, Hilfsstoffe aus Europa, Produktion und Verpackung erfolgen teils in Drittländern.
Wenn eine Komponente durch Zollmaßnahmen oder Exportbeschränkungen blockiert wird, steht das Endprodukt still – ein Risiko, das an die Pandemie erinnert.
„Wir haben 2020 erlebt, wie fragil diese Ketten sind. Ein Ausfall genügt, um weltweit Apotheken leerzufegen“, warnt Thomas Preis. Dass die USA künftig ihre eigene Versorgung priorisieren könnten, sei nur logisch – und gefährlich. Denn im Ernstfall bleibt Europa dann außen vor.
Boehringer, Bayer, Biontech – Abhängig vom US-Geschäft
Der Mainzer Impfstoffpionier Biontech erzielte zuletzt 67 Prozent seines Umsatzes in Nordamerika, Boehringer Ingelheim rund 48 Prozent. Auch Bayer ist mit einem US-Anteil von 30 Prozent stark betroffen. Noch halten sich die Konzerne mit öffentlicher Kritik zurück – doch intern herrscht höchste Alarmstufe.
Frank Hübler, Finanzchef von Boehringer Ingelheim, spricht von „extremer Unsicherheit“ und „fehlender Planbarkeit“. Zwar habe man vorgesorgt, mit neuen Produktionsstätten und lokalen Partnerschaften – doch auch er warnt:
„Wenn neue Handelshemmnisse greifen, ist niemand geschützt. Dann werden aus Unsicherheiten schnell reale Probleme.“
Ein globales Problem – mit lokalem Schmerz
Dass Trumps Zollpolitik politisch motiviert ist, bezweifelt niemand. Die Formel „America First“ könnte – sobald es eng wird – auch auf Medikamente angewandt werden. Dann fließt Nachschub zuerst dorthin, wo der politische Druck am größten ist: in die USA. Und nicht dorthin, wo er vielleicht am nötigsten wäre.
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