Russlands Regierung hat ein Problem: Sie braucht immer mehr Soldaten für den Ukraine-Krieg, aber die Begeisterung, an die Front zu gehen, hält sich in Grenzen. Also versucht der Staat, mit Geld zu locken – und das in nie dagewesener Höhe.
Für viele Männer aus den Provinzen bedeutet der Vertrag als Soldat plötzlich mehr Einkommen, als sie jemals in einem zivilen Beruf erreichen könnten. Doch der wahre Preis ist hoch: Viele dieser Soldaten kehren in Särgen zurück.
Das Geschäft mit dem Krieg
„Richtige Männerarbeit“ steht auf den Plakaten, die in russischen Städten hängen. Doch was dahintersteht, ist vor allem eins: Geld. Die Stadt Moskau zahlt neuen Freiwilligen mittlerweile 1,9 Millionen Rubel (etwa 19.000 Euro) nur für die Unterschrift unter den Vertrag.
Lesen Sie auch:
Dann kommen monatliche Zahlungen von 215.000 Rubel (rund 2.100 Euro) dazu – das ist fünfmal so viel, wie ein Soldat vor dem Ukraine-Krieg verdient hat. Für viele Männer aus den ärmeren Regionen des Landes ist das eine Summe, von der sie nur träumen können.
Doch das wahre Geld liegt im Tod. Stirbt ein Soldat, erhält seine Familie umgerechnet bis zu 110.000 Euro.
Diese Summe übersteigt das, was viele in den ländlichen Gebieten Russlands in ihrem gesamten Arbeitsleben verdienen würden. Für viele Familien ist es zynischerweise eine wirtschaftliche Chance, die sie auf keinem anderen Weg bekommen könnten.
Die Rekrutierungswelle
Im ersten Halbjahr 2024 meldet Russland offiziell 166.000 neue Freiwillige. Aber diese Zahl ist trügerisch. Experten gehen davon aus, dass die tatsächlichen Rekrutierungen viel niedriger liegen.
Ausländische Geheimdienste schätzen, dass etwa 30.000 neue Soldaten pro Monat angeworben werden – zu wenig, um die enormen Verluste an der Front auszugleichen.
Lesen Sie auch:
Die Provinzregionen, in denen die meisten Freiwilligen angeworben werden, erfüllen die staatlichen Vorgaben oft nur zur Hälfte. Trotzdem steigen die Zahlen, vor allem durch die immer weiter erhöhten Geldsummen.
Es ist ein Teufelskreis: Mehr Soldaten bedeutet mehr Verluste, die wieder durch neue Freiwillige ersetzt werden müssen – bezahlt aus einem Topf, der irgendwann leer sein könnte.
Die „Todesökonomie“
Wladislaw Inozemcev, ein russischer Ökonom, spricht von einer „Todesökonomie“. Soldaten verdienen besser als Zivilisten, und im Todesfall erhalten die Familien mehr Geld, als sie in Jahrzehnten ziviler Arbeit jemals erwirtschaften könnten.
„Der Tod des Mannes ist zur effizientesten Vorsorge für eine Familie geworden“, erklärt er.
Für viele ist es ein verzweifelter Deal: Sie verkaufen ihr Leben, um ihre Familie abzusichern.
Diese Dynamik lässt sich auch in den wirtschaftlichen Zahlen des Landes ablesen. Der Staat hat im vergangenen Jahr 3 Billionen Rubel für aktive Soldaten und Hinterbliebene ausgegeben.
Das entspricht etwa 1,5 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts. Während die Kriegskosten steigen, zieht auch der Konsum in den betroffenen Regionen an. Menschen, die vorher kaum Geld hatten, bekommen plötzlich Summen, die sie in ihrem Alltag spürbar verändern.
Ein Land im Ausnahmezustand
Putin hat bereits angekündigt, die russische Armee um 180.000 Soldaten aufzustocken. Damit würde Russland mit 1,5 Millionen aktiven Soldaten zur zweitgrößten Armee der Welt aufsteigen. Doch die Frage bleibt: Wie lange kann das Land diesen Kurs halten?
Die Verluste sind hoch. Westliche Geheimdienste schätzen, dass seit Kriegsbeginn etwa 200.000 russische Soldaten gefallen sind. Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen dieser Zahlen sind in den ärmeren Regionen Russlands besonders spürbar. Dort gibt es nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Tote.
Ein System mit Ablaufdatum?
Russland hat den Krieg zu einer ökonomischen Angelegenheit gemacht. Doch während die kurzfristigen finanziellen Anreize funktionieren, stellt sich die Frage, wie lange der Staat das durchhalten kann. Die hohen Ausgaben für lebende und tote Soldaten belasten das Land – und am Ende könnte sich der Preis als zu hoch erweisen.