Ein Würfelspiel, ein Bier – und plötzlich ein Geschäftsmodell
An einem trüben Abend während der Pandemie war es nur ein Trinkspiel unter Freunden. Heute steht „Körkchen’s BrewTal“ auf Etiketten, die durch Wuppertaler Bars wandern. Was als Idee über einem Bier begann, ist mittlerweile eine Biermarke – und ein eingetragenes Unternehmen.
Chris Güldner, Chemikant im Hauptberuf, hat gemeinsam mit zwei Freunden 1000 Liter Craftbeer auf den Markt gebracht. Gebraut nach Feierabend, etikettiert am Wochenende. Alles im Nebenerwerb. Der Clou: Der Beruf bleibt, das Risiko bleibt überschaubar – aber die Motivation steigt.
Statistiken zeigen: Die „Teilzeit-Gründer“ nehmen zu
Während die Zahl der klassischen Selbstständigen in Deutschland sinkt, steigt die Zahl derer, die nebenbei gründen. Laut KfW-Gründungsmonitor ist der Nebenerwerb das einzige Segment mit stabilem Zuwachs. Der Reiz? Finanzielle Sicherheit durch das Angestelltenverhältnis – kombiniert mit unternehmerischer Freiheit im Nebenjob.
Holger Patzelt, Entrepreneurship-Professor an der TU München, nennt das „Risikopuffer mit Relevanz“. Wer am Wochenende Bier braut oder Bücher schreibt, kann sein Projekt testen – ohne ökonomische Not. Und nicht selten wird daraus mehr.
Zwei Jobs, eine Leidenschaft – aber klar getrennt
Was alle erfolgreichen Nebengründer eint: Disziplin. Ob Chris Güldner beim Bierbrauen, Deutschlehrerin Gisela Schmidt beim Romanschreiben oder Maßschneider Christian Weilert in seinem Laden in Düsseldorf – alle setzen auf strikte Trennung.
Güldner arbeitet tagsüber im Schichtbetrieb, abends an Etiketten. Schmidt schreibt Romane, wenn Schulaufgaben erledigt sind und die Kinder schlafen. Und Weilert berät tagsüber Mandanten bei PwC – und abends Kunden beim Maßanzug. Sein Chef weiß Bescheid. Der Vertrag erlaubt ihm Flexibilität. Die Verantwortung für das Zeitmanagement trägt er selbst.
Mehr als nur ein Hobby – was die Forschung sagt
Wissenschaftler der Universitäten Bamberg, Würzburg und Groningen belegen: Ein ernsthaft betriebenes Hobby kann sogar die Leistung im Hauptjob steigern – durch Ausgleich, Perspektivwechsel und zusätzliche Motivation.
Besonders stark sei der Effekt, wenn das Nebenthema mit der Haupttätigkeit kontrastiert. Wer tagsüber Tabellen auswertet und abends Ginsorten abfüllt, aktiviert neue Kompetenzen – und findet oft frischen Antrieb für die Arbeit im Hauptberuf.
Finanzielle Erfolge, aber keine Illusionen
Dass Nebenerwerb auch wirtschaftlich funktionieren kann, zeigt Maßschneider Weilert: 250.000 Euro Umsatz in drei Jahren. Mit dem Erlös finanziert er neue Stoffe, Werbung, einen Negroni im Sortiment – aber nicht sein Leben. Denn die Sicherheit, weiter bei PwC angestellt zu sein, erlaubt ihm kreativen Spielraum.
Ähnlich denkt auch Gisela Schmidt. Elf Bücher hat sie veröffentlicht – und verkauft. Doch ihr Hauptberuf als Lehrerin bleibt. „Weil Schreiben ein stilles Geschäft ist – und ich gern mit echten Menschen rede.“
Ein Trend, der auch strategisch sein kann
Für viele ist der Nebenjob nicht nur Hobby – sondern Vorbereitung. Wer seine Marke in kleiner Serie testet, erkennt früher, ob daraus ein tragfähiges Modell entstehen kann.
Brauerei-Mitgründer Güldner denkt längst größer: eine Dachgesellschaft, ein Netzwerk für andere Hobbybrauer, ein Revival der Wuppertaler Bierkultur. Noch ist das Zukunftsmusik. Aber wenn der Braukessel am Wochenende heißläuft, entsteht unter der Oberfläche bereits etwas Größeres.
Was Nebenerwerb erfordert – und ermöglicht
Coachin Sabine Votteler empfiehlt „Testballons“: kleine Projekte mit überschaubarem Aufwand, um das unternehmerische Potenzial zu prüfen. Aber auch: klare Grenzen. Ohne Zeiteinteilung, sagt sie, drohe Überlastung.
Denn Nebenerwerb heißt auch: 60- bis 70-Stunden-Wochen, wenig Freizeit, hohe Selbstdisziplin. Wer dabei nicht ausbrennt, muss Freude an der Sache haben – oder eine Vision, die trägt. Im besten Fall beides.
Das stille Wachstum der Selbstständigkeit 2.0
Der neue Gründergeist ist leiser als der alte. Keine Start-up-Show, keine Millionenpitches. Stattdessen: Mikrobrauer, Autoren, Maßschneider – die arbeiten, wenn andere abschalten. Sie riskieren wenig, gewinnen viel. Und zeigen, dass es zwischen Burnout und 9-to-5 einen Weg gibt, der beides verbinden kann: Sicherheit und Selbstverwirklichung.
Nicht jeder Traum muss sofort Vollzeit gelebt werden. Manchmal reicht es, ihn abends anzuziehen – wie einen maßgeschneiderten Anzug. Oder in Flaschen abzufüllen. Und einfach mal zu sehen, wie er sich verkauft.
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