Es war die letzte große Erfolgsgeschichte der deutschen Industrie: Die Elektro- und Digitalbranche zeigte sich über Jahre resilient gegenüber den vielen Krisen, die andere Sektoren erschütterten.
Doch nun meldet auch diese Branche erhebliche Rückschläge. Der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) senkt seine Produktionsprognose für 2024 drastisch – statt eines leichten Rückgangs um zwei Prozent wird nun mit einem Minus von sieben Prozent gerechnet.
Die einst so widerstandsfähige Branche rutscht in eine tiefe Krise.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache
Von Januar bis August 2023 sank die preisbereinigte Produktion elektrotechnischer Güter in Deutschland um knapp zehn Prozent. Besonders alarmierend ist der Rückgang der Aufträge: In den ersten acht Monaten verzeichnete die Branche ein Minus von elf Prozent.
Dies bedeutet, dass das Geschäft von morgen und übermorgen massiv einbricht. „Lage und Stimmung sind nicht gut“, sagt Wolfgang Weber, der Vorsitzende der ZVEI-Geschäftsführung, und fasst damit die besorgniserregende Situation der Industrie zusammen.
Diese Entwicklung kommt nicht überraschend. Seit Monaten kämpft die Branche mit den Folgen einer schwächelnden Konjunktur. Sowohl der Heimatmarkt Deutschland als auch der wichtige Absatzmarkt China zeigen Schwächen. Zusätzlich stocken die Bestellungen aus dem Euroraum. Doch es sind nicht nur die äußeren Faktoren, die den Abwärtstrend beschleunigen.
Strukturelle Probleme in Deutschland
Viele Unternehmen klagen über strukturelle Defizite am Standort Deutschland. Hohe Energiepreise, immer neue Regulierungen und eine ausufernde Bürokratie belasten die Wettbewerbsfähigkeit auf den globalen Märkten.
„Der Erfüllungsaufwand ist gewaltig und hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen“, kritisiert Weber.
Themen wie das Lieferkettengesetz und die Nachhaltigkeitsberichterstattung treiben die Kosten in die Höhe, ohne dass sie die Produktivität steigern. Statt Innovationen und Wertschöpfung zu fördern, müssen Unternehmen immer mehr Personal für die Erfüllung von Berichtspflichten einstellen – ein Frust, der sich in der gesamten Branche breitmacht.
Fordert die Politik zum Handeln auf
Weber fordert eine „Effizienzwende“: weniger Bürokratie, mehr Freiheiten für Unternehmen und Raum für Innovationen. Die Politik müsse Industrie, Wirtschaftswachstum und Klimaschutz in Einklang bringen, um langfristig die Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern.
Erste Einsichten in diese Richtung gibt es bereits. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat kürzlich vorgeschlagen, das Lieferkettengesetz abzuschaffen – ein Schritt, der von vielen in der Branche begrüßt wird. Doch es braucht mehr als Lippenbekenntnisse.
„Es muss ein Signal von der EU und der Bundesregierung kommen, dass man die Unternehmen verstanden hat“, fordert Weber.
Nur so könne man die Abwärtsspirale durchbrechen und die Investitionsbereitschaft der Firmen wieder steigern.
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Lichtblicke im Bereich Energietechnik
Trotz der breiten Rückgänge gibt es auch positive Entwicklungen. Besonders der Bereich Energietechnik zeigt sich widerstandsfähig. Unternehmen, die Transformatoren und Kabel für die Energiewende liefern, verzeichnen gut gefüllte Auftragsbücher.
Auch die Informationstechnik, die für Rechenzentren benötigt wird, steht vergleichsweise gut da. Doch diese Segmente sind die Ausnahmen in einer Branche, die in den meisten Bereichen schwächelt.
Größter Hoffnungsträger bleibt der Exportmarkt USA. Für zwei Drittel der befragten Unternehmen ist die USA ein attraktiverer Investitionsstandort als Deutschland oder Europa. Die anhaltend gute Auftragslage dort gibt den Unternehmen Rückhalt.
Allerdings bleibt auch hier das Bewusstsein für politische Risiken hoch: Zölle, Einfuhrbeschränkungen und staatliche Wettbewerbsverzerrungen zugunsten amerikanischer Firmen könnten das positive Bild schnell eintrüben.