Die Goldpreise erreichen historische Höchststände, doch die Ursache bleibt ein Rätsel. Über 2700 Dollar kostet mittlerweile eine Feinunze – ein Plus von 40 Prozent in nur zwölf Monaten. Normalerweise ein klarer Fall: In Krisenzeiten flüchten Investoren in das Edelmetall.
Doch diesmal sieht es anders aus. Weder Finanzpanik noch eine Inflationsexplosion treiben den Markt. Stattdessen lenken diskrete Käufe von Staaten und Superreichen die Rally in eine Richtung, die selbst erfahrene Experten ins Grübeln bringt.
Ein Goldmarkt, der Regeln bricht
Frankfurt. „Gold macht gerade alles, was es nicht tun sollte“, sagt Ross Norman, Herausgeber des Branchenmagazins Metals Daily. Er beobachtet die Edelmetallmärkte seit 40 Jahren – und hat so etwas noch nie gesehen. Steigende Zinsen, massive Kapitalabflüsse aus Gold-ETFs und dennoch: Der Preis explodiert. Normale Mechanismen greifen nicht mehr.
Bei der BayernLB, Deutschlands größtem Edelmetallhändler, bleibt es hingegen ruhig. „Wir haben solide Geschäfte, aber keinen Ausnahmezustand“, sagt Michael Eubel, Leiter der Abteilung Sorten und Edelmetalle. Dass der Markt dennoch auf Hochtouren läuft, liegt offenbar an anderen Akteuren – und ihren geheimen Deals.
Zentralbanken als stille Preistreiber
Die Spur führt in Richtung der Zentralbanken, vor allem in Schwellenländern. Sie kaufen tonnenweise Gold, oft in diskreten Over-the-Counter-Geschäften (OTC). Dabei wechseln die Barren den Besitzer, ohne dass sie physisch bewegt werden. „Das ist die intransparenteste Rally, die wir je erlebt haben“, meint Norman.
Ein Grund für die Kauflaune: Die Sanktionen gegen Russland nach dem Ukraine-Krieg haben vielen Staaten gezeigt, wie angreifbar ihre Devisenreserven sind. Wer Dollar- oder Euro-Bestände hält, muss jederzeit mit Einfrierungen rechnen. Gold hingegen ist unabhängig.
Länder wie China, Indien und die Türkei setzen verstärkt auf das Edelmetall. Es gilt als politisch neutral – eine wichtige Eigenschaft in einer Welt, die sich zunehmend in Lager teilt.
Der Dollar wackelt
Parallel verliert der US-Dollar an Strahlkraft. Steigende Schulden und politische Unsicherheiten in den USA untergraben das Vertrauen in die Leitwährung. Donald Trumps Pläne für massive Steuersenkungen könnten das Problem verschärfen. Die Ratingagentur Fitch hat die Bonität der USA bereits 2023 heruntergestuft.
„Zentralbanken wollen nicht länger abhängig vom Dollar sein“, sagt Ruth Crowell, Chefin der London Bullion Market Association.
Vor allem China treibt den Trend an. Offiziell meldet das Land einen moderaten Goldbestand. Doch Experten vermuten, dass Peking gezielt größere Mengen anonym aufkauft – eine bewährte Praxis der chinesischen Notenbank.
Die Reichen decken sich ein
Nicht nur Staaten, auch Superreiche sichern sich ab. Hedgefonds und Family Offices aus Asien, der Türkei und den Golfstaaten kaufen zunehmend physisches Gold. „Ich hatte noch nie so viele Anfragen von Privatinvestoren, die Gold außerhalb ihres Heimatlandes lagern wollen“, berichtet ein Analyst des World Gold Council.
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Große Barren, wie sie in Schweizer Raffinerien hergestellt werden, stehen besonders hoch im Kurs. Diese 400-Unzen-Klötze – jeder über 12 Kilogramm schwer – sind die Währung der Superreichen. „Die Produktion dieser Barren ist im vergangenen Jahr um 80 Prozent gestiegen“, sagt Robin Kolvenbach, Leiter der Argor-Heraeus Raffinerie.
Ein Vorbote für Veränderungen?
Die außergewöhnliche Goldrally deutet auf mehr hin als nur Preisspekulation. Historisch sind solche Bewegungen oft Begleiterscheinungen fundamentaler Veränderungen im Finanzsystem. Ende der 1970er-Jahre erreichte Gold ähnliche Rekordwerte – damals wegen der Aufhebung der Goldbindung des Dollars und einer Inflationsexplosion in den USA.
„Wir erleben gerade einen schleichenden Wandel“, sagt der renommierte Ökonom Mohammed El-Erian. Staaten und Investoren testen Wege, um den Dollar zu umgehen. Transaktionen in anderen Währungen wie dem Yuan oder dem Rubel nehmen zu. Auch der internationale Ölhandel findet zunehmend in Alternativen zum Dollar statt.