31. März, 2025

Politik

Atomkraft: Plötzlich wieder eine Option

Ein Angebot europäischer Kerntechnik-Konzerne bringt die Debatte über eine Rückkehr der Atomkraft in Deutschland zurück auf die Tagesordnung – sachlich, konkret, mit klarer Ansage. Politisch bleibt das Thema heikel, doch technisch scheint vieles möglich.

Atomkraft: Plötzlich wieder eine Option
Deutschland hat seine letzten AKW trotz TÜV-Freigabe abgeschaltet – Länder wie Frankreich und Finnland bauen hingegen neue Reaktoren für die Energiewende.

Sechs Reaktoren, sechs Chancen

Die sechs zuletzt abgeschalteten deutschen Kernkraftwerke könnten wieder ans Netz gehen – und zwar schneller, als viele denken. Das behaupten ausgerechnet jene Unternehmen, die sie einst gebaut haben.

Framatome, Westinghouse und Urenco legen in einem gemeinsamen Schreiben dar, wie eine Wiederinbetriebnahme bis 2030 aussehen könnte. Die Anlagen seien in gutem Zustand, der technische Aufwand überschaubar.

Framatome, heute eine Tochter der französischen EDF, kennt die deutschen Reaktoren aus dem Effeff – sie wurden einst unter Siemens-Führung errichtet. Westinghouse steuert Expertise aus internationalen Reaktorbetrieben bei, Urenco liefert den Brennstoff. Das Angebot steht: „Wir können liefern – wenn die Politik es will.“

Strompreise, Klima, Versorgungssicherheit

Drei Schlagworte, ein Argument: Die Kernkraft könnte gleichzeitig die Strompreise dämpfen, CO₂-Emissionen senken und die Energieversorgung stabilisieren. Das macht sie – trotz aller politischen Vorbehalte – zu einer verlockenden Option.

Gerade jetzt, wo Deutschland mit dem Rücken zur Wand steht: Strom teuer, Netze überlastet, Kohlemeiler in der Warteschleife.

Laut dem Lobbyverband KernD ließen sich durch eine Wiederinbetriebnahme jährlich bis zu 95 Millionen Tonnen CO₂ einsparen. Das ist keine kleine Zahl, sondern ein relevanter Beitrag zum Klimaziel – und das ohne neue Windräder, ohne Proteste, ohne jahrelange Bauzeiten.

Die Union öffnet die Tür – die SPD blockt

Politisch kommt Bewegung ins Spiel. Im Entwurf für den neuen Koalitionsvertrag fordert die CDU/CSU eine Bestandsaufnahme: TÜV, Reaktorsicherheitskommission und GRS sollen prüfen, ob eine Reaktivierung der Anlagen machbar und bezahlbar ist. Ein Rückbau-Stopp ist ebenfalls im Gespräch – zumindest, bis die Ergebnisse vorliegen.

Doch die SPD mauert. Von „Stillschweigen“ ist offiziell die Rede, inoffiziell heißt es: Die Sozialdemokraten wollen über Atomkraft gar nicht erst diskutieren. Das gesamte Kernenergie-Kapitel im Vertragsentwurf ist in eckige Klammern gesetzt – ein Hinweis darauf, dass es noch keine Einigung gibt. Oder dass es gar keine geben soll.

Die Betreiber lehnen einen Wiedereinstieg ab – nicht aus technischen Gründen, sondern wegen des politischen Zickzackkurses und fehlender Planungssicherheit in der Energiepolitik.

Industrie sagt Ja – Betreiber sagen Nein

Bemerkenswert ist der Gegensatz zwischen den Technikfirmen und den klassischen AKW-Betreibern. Während Framatome, Westinghouse & Co. offen für ein Comeback werben, halten sich RWE, E.on, EnBW und Vattenfall weiter bedeckt – oder lehnen eine Rückkehr rundweg ab. Der Grund: zu viel politisches Hin und Her, zu wenig Planungssicherheit.

Schon unter Angela Merkel hatten wechselnde Entscheidungen, Sondersteuern und Rückbauvorgaben das Vertrauen der Betreiber erschüttert. Jetzt, da ein Kurswechsel denkbar wäre, wollen sie nicht mehr mitspielen. Verständlich aus ihrer Sicht. Bitter für die Energiewende.

Was, wenn der Staat selbst übernimmt?

In Belgien hat der Staat inzwischen eigene Gesellschaften gegründet, um den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zu sichern. Auch in Deutschland wird dieses Modell wieder diskutiert. Eine staatliche Betreibergesellschaft könnte übernehmen, wo sich die Konzerne zurückziehen. Möglich wäre auch eine Mischform mit den AKW-Bauern selbst.

Noch ist das Zukunftsmusik – aber nicht mehr völlig unrealistisch. Denn anders als vor fünf Jahren gibt es nun wieder eine technische, wirtschaftliche und sogar wissenschaftliche Basis für die Debatte.

Renaissance des Know-hows

Die deutschen Hochschulen sind vorbereitet. Lehrstühle für Kerntechnik, Sicherheitsforschung und Entsorgung existieren weiterhin – trotz Ausstieg. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und die Ruhr-Uni Bochum haben erklärt, dass sie bereitstehen: für Ausbildung, Forschung, Reaktorsimulation. Die Expertise ist da. Noch.

„Deutschland braucht weiterhin Know-how in der Kerntechnik“, sagt Thomas Tromm vom KIT.

Ein kompletter Ausstieg würde bedeuten, dass man genau diese Fähigkeiten aufgibt – ohne sie je wieder aufzubauen. Ein Risiko, das über den Strommarkt hinausreicht.

Ein Paradigmenwechsel?

Lange galt Atomkraft hierzulande als erledigt. In Frankreich, den USA oder Japan wird längst wieder gebaut. Nur Deutschland wollte raus – komplett, unumkehrbar, final. Doch die Realität hat sich verändert. Der Stromhunger steigt, der CO₂-Druck wächst, die Industrie leidet unter hohen Preisen. Und: Die Alternativen kommen nicht schnell genug.

Ob sich die Politik traut, einen neuen Kurs einzuschlagen, ist offen. Aber das erste Mal seit Jahren liegt eine konkrete Option auf dem Tisch. Keine Theorie, kein Parteiprogramm – sondern ein Angebot aus der Industrie.

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