22. April, 2025

Märkte

Ölpreis im Sinkflug – wer profitiert?

Ein dramatischer Preisverfall auf den Weltmärkten entlastet Verbraucher und Industrie. Doch statt konjunkturellem Rückenwind überwiegen strukturelle Dämpfer. Was der Ölcrash wirklich bedeutet – für Deutschland, Europa und die Welt.

Ölpreis im Sinkflug – wer profitiert?
Trotz 25 % Preisrückgang bleibt der konjunkturelle Effekt in Deutschland gering – die Industrie braucht heute deutlich weniger Öl.

Krisenrabatt an der Zapfsäule

Eigentlich müsste sich Deutschland über den sinkenden Ölpreis freuen. Binnen eines Jahres hat sich der Preis für ein Barrel Rohöl der Sorte Brent um fast 25 Prozent verbilligt.

Die Notierung liegt aktuell bei rund 65 Dollar – das ist der tiefste Stand seit vier Jahren. Was früher für wirtschaftlichen Aufschwung sorgte, verpufft heute weitgehend. Denn: Der Rückgang hat politische Gründe – und ökonomisch kaum noch Hebelwirkung.

Trump und das Zerwürfnis der Opec

Auslöser des Preissturzes sind gleich zwei politische Brandherde. Zum einen Donald Trumps aggressive Zollpolitik, die nicht nur den Welthandel belastet, sondern auch Chinas Rolle als globaler Ölnachfragemotor ins Wanken bringt.

Zum anderen der offene Streit innerhalb der Opec: Saudi-Arabien dreht den Ölhahn weit auf – ausgerechnet in einem Moment weltwirtschaftlicher Schwäche.

Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass sich das Überangebot am Ölmarkt 2025 auf über eine Million Barrel pro Tag ausweiten könnte. Die Förderer produzieren, als gäbe es kein Morgen – und riskieren damit den Zusammenbruch des Preisgefüges.

Analysten vergleichen die Situation bereits mit dem Preiskrieg 2020, als sich Russland und Saudi-Arabien gegenseitig unterboten, während die Welt im Lockdown war.

Ein Konjunkturprogramm ohne Wirkung

Doch so paradox es klingt: Der günstige Ölpreis hilft der deutschen Wirtschaft kaum. Zwar profitieren Konsumenten und Unternehmen kurzfristig – etwa durch niedrigere Heizkosten, billigeren Diesel oder günstigere Grundstoffe in der Chemieindustrie.

Doch der Effekt bleibt begrenzt. „Ein sinkender Ölpreis kann die Konjunktur stabilisieren, aber nicht retten“, sagt Galina Kolev-Schaefer vom Institut der deutschen Wirtschaft.

Saudi-Arabien und Russland liefern sich erneut ein Preisdumping – dabei benötigen beide Länder weit höhere Ölpreise zur Haushaltsdeckung.

Die deutsche Wirtschaft dürfte 2025 laut Frühjahrsgutachten der führenden Forschungsinstitute ohnehin kaum wachsen – im besten Fall um 0,2 bis 0,3 Prozent. Der Ölpreis schiebt daran maximal ein Zehntelpunkt mit. Kein Aufschwung, sondern bestenfalls ein kleiner Puffer gegen die Stagnation.

Warum der Ölpreis heute weniger zählt

Ein Grund für die gedämpfte Wirkung: Die Ölintensität der Industrie ist deutlich gesunken. 2013 brauchte die deutsche Volkswirtschaft noch rund 125 Kilo Rohöl pro 1.000 Euro BIP.

Heute sind es nur noch 70 Kilo. Die Gründe liegen im technischen Fortschritt, in effizienteren Produktionsverfahren – und im Wandel der Wirtschaftsstruktur. Dienstleistungen dominieren, nicht mehr Schwerindustrie.

Hinzu kommt die politische Transformation: Der Druck zur Dekarbonisierung, also zur Abkehr vom fossilen Energieeinsatz, macht Öl zunehmend irrelevant – nicht moralisch, sondern wirtschaftlich. Investitionen fließen in Wärmepumpen, Solarzellen, Elektromobilität – nicht mehr in Dieselaggregate.

Verlierer des Preissturzes sitzen nicht in Europa

Die größten Verlierer der aktuellen Entwicklung sind nicht in Frankfurt, sondern in Riad, Moskau oder Caracas. Denn für viele Ölstaaten ist das schwarze Gold die tragende Säule der Haushaltsplanung.

Saudi-Arabien etwa braucht einen Ölpreis von über 90 Dollar, um seinen Budgetkurs zu halten. Fällt der Preis dauerhaft darunter, sinkt auch die Fähigkeit, westliche Waren zu importieren – und das trifft am Ende auch die Exportnationen Europas.

Wirtschaftlich gesehen reduziert ein niedriger Ölpreis somit nicht nur die Einnahmen der Förderländer – er schwächt auch die Nachfrage nach westlichen Investitionsgütern. Ein zweischneidiges Schwert.

Zollkrieg statt Wachstumseffekt

Gleichzeitig entfaltet Trumps Zollpolitik eine unheilvolle Nebenwirkung: Während die Inflation durch niedrigere Energiepreise gebremst wird, steigen gleichzeitig die Importkosten für Vorprodukte aus China, Mexiko oder Europa.

Für exportorientierte Unternehmen ergibt sich daraus ein toxischer Mix: Günstigere Logistik – aber schrumpfende Absatzmärkte. Besonders betroffen: Maschinenbauer, Autozulieferer und Chemiekonzerne.

Hinzu kommt: Die Unsicherheit, die Trump mit seiner erratischen Wirtschaftspolitik erzeugt, lähmt Investitionen weltweit. „Der Vertrauensverlust an den Märkten ist groß“, so Carsten Fritsch, Rohstoffanalyst bei der Commerzbank. Kein Unternehmen baut eine neue Produktionslinie, wenn es nicht weiß, ob sie in sechs Monaten noch beliefert werden kann.

Opec 65 – kein Grund zum Feiern

Im September feiert die Opec ihr 65-jähriges Bestehen. Doch von Feierlaune ist in Wien keine Spur. Das Kartell steht unter Druck wie seit Jahrzehnten nicht. Interne Verstöße gegen Förderquoten, Machtkämpfe unter Mitgliedern und die wachsende Konkurrenz durch US-Schieferölproduzenten haben den Einfluss der Organisation geschwächt.

Am 28. Mai trifft sich die Opec+ erneut, um über die Förderstrategie für das zweite Halbjahr zu beraten. Die Erwartungen sind niedrig. Saudi-Arabien wird kaum freiwillig kürzen – zu groß der Ärger über „Free Rider“ wie Kasachstan oder den Irak, die seit Monaten mehr fördern, als sie dürfen. Ein gemeinsames Handeln scheint illusorisch.

Ein Ölpreis unter 40 Dollar? Nicht ausgeschlossen

Goldman Sachs hält es in einem Extremszenario für möglich, dass der Ölpreis bis 2026 unter die 40-Dollar-Marke fällt. Das wäre ökonomisch ein Schock für Förderländer – und geopolitisch ein Brandbeschleuniger. Denn: Sinkende Staatseinnahmen führen oft zu sozialem Druck, Instabilität – und einer aggressiveren Außenpolitik.

Für Europa bedeutet das: Ein günstiger Ölpreis mag kurzfristig wie ein Geschenk wirken. Doch mittelfristig könnte die globale Unruhe zunehmen – und damit auch die wirtschaftliche Unsicherheit. Die Märkte rechnen längst nicht mehr in Barrel – sondern in geopolitischen Risiken pro Woche.

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