Eine App als geopolitisches Faustpfand
Die Uhr ist erneut angehalten – TikTok darf in den USA weiter betrieben werden, obwohl das Gesetz eigentlich längst ein Aus erzwungen hätte. Präsident Donald Trump hat kurz vor Ablauf der Frist überraschend entschieden, das drohende Verbot um weitere 75 Tage zu verschieben.
Begründung: Der geplante Verkauf des US-Geschäfts sei noch nicht entscheidungsreif.
Der eigentliche Konflikt aber liegt tiefer. TikTok ist längst nicht mehr nur eine Plattform für Tanzvideos, sondern Symbol eines umfassenden Machtkampfes zwischen Washington und Peking. Und die Gespräche über den Verkauf von TikTok America sind eng mit Verhandlungen über chinesische Zölle und geopolitischen Einfluss verknüpft.
Ein Deal in Wartestellung
Bereits im Januar hatte Trump zum Amtsantritt eine erste Frist von 75 Tagen eingeräumt – trotz fehlender gesetzlicher Grundlage. Auch die jetzige Verlängerung basiert mehr auf politischem Kalkül als auf juristischer Basis.
Das Gesetz aus der Biden-Ära sieht eigentlich nur einen Aufschub bei laufenden Verkaufsverhandlungen vor. Doch Trump setzt auf maximale Flexibilität – und darauf, einen für die USA vorteilhaften Deal zu zimmern.
Laut Medienberichten soll eine neue Firma mit dem Namen TikTok America entstehen. Der Softwarekonzern Oracle, der Investmentgigant Blackstone sowie der Tech-Investor Andreessen Horowitz gelten als aussichtsreiche Kandidaten für die Führung. Rund 50 % der Anteile sollen auf neue US-Investoren entfallen, der Rest auf internationale Altaktionäre – inklusive eines Minderheitsanteils für Bytedance.

Das Problem steckt im Code
Doch genau dieser Punkt sorgt für politischen Zündstoff: Der Algorithmus, das Herzstück der App, soll zwar in den USA betrieben, aber weiterhin aus China lizenziert werden. Kritiker warnen, dass dies eine Hintertür für Einflussnahme durch die chinesische Regierung öffnet – gerade in Wahlkampfzeiten ein heikles Thema.
Denn das US-Gesetz schreibt klar vor: Weder Peking noch Bytedance dürfen Kontrolle über das Empfehlungssystem behalten. TikTok und Bytedance selbst halten den Verkauf eines „gesplitteten“ US-Teils für technisch kaum umsetzbar – und warnen vor einer Zersplitterung der Plattform mit Folgen für Nutzer, Werbung und App-Stabilität.
Trump pokert mit Zöllen
Parallel bringt Trump ein zweites Druckmittel ins Spiel: Zollsenkungen. Im Gegenzug für Pekings Zustimmung zum TikTok-Verkauf will er den Chinesen wirtschaftliche Zugeständnisse machen.
Ein Prozentpunkt weniger Zoll für ein US-kompatibles TikTok – so lautet sinngemäß sein Angebot. Die Botschaft: Jeder Dollar Strafzoll wiegt schwerer als eine Social-Media-App.
Ob China diesen Vorschlag akzeptiert, bleibt fraglich. Peking hat bereits in Trumps erster Amtszeit klargemacht, dass der Export von Software-Algorithmen genehmigungspflichtig ist. Die Volksrepublik könnte also jederzeit den Stecker ziehen – oder mit eigenen Bedingungen kontern.
Showdown auf offener Bühne
TikTok wurde in den USA einst zur politischen Projektionsfläche – zunächst als Sicherheitsrisiko, dann als potenzielles PR-Werkzeug im Wahlkampf. Trump selbst schlug zuletzt versöhnlichere Töne an und lobte die App für ihren Einfluss auf junge Wähler. Doch nun hat sich das Thema zurückverwandelt – in ein geopolitisches Schachspiel.
Zollpolitik, Plattformkontrolle, Digitalstrategie – all das kulminiert in der Frage, wem TikTok gehört. Und wer darüber entscheidet, was Millionen Amerikaner täglich auf ihrem Bildschirm sehen.
75 Tage Aufschub, keine Klarheit
Die Frist läuft, doch der Ausgang ist offen. TikTok steht vor einem Spagat aus technischer Entflechtung, politischer Druckkulisse und internationaler Machtbalance. Die Plattform bleibt einstweilen online – doch ihr Schicksal ist enger mit Trumps Wirtschaftsdiplomatie verknüpft als mit Nutzerdaten oder Videofeeds.
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