Berliner Tech-Hoffnung am Wendepunkt
Der Hype ist vorbei. Was bleibt, ist ein dickes Dossier mit juristischen Fußnoten, viel kaputtem Vertrauen – und die Frage, ob aus einem Start-up-Wunderkind ein tragfähiges Unternehmen werden kann.
Der Technik-Vermieter Grover, einst als grüner Hoffnungsträger in der Konsumwelt gefeiert, steht vor dem Neustart. Oder besser: dem Überlebenskampf.
Am Mittwoch wurde ein entscheidender Schritt gemacht. Grovers Finanzgläubiger haben dem Sanierungsplan zugestimmt. Ein Rettungspaket, zusammengeschraubt von einer Phalanx aus Sanierungsexperten und Wirtschaftskanzleien. 1000 Seiten, viele davon in Paragrafensprache, verhandelt unter dem Dach des StaRUG – einem Gesetz, das eigentlich kaum jemand kennt, jetzt aber über das Schicksal eines Einhorns entscheidet.
Das Einhorn, das zu schnell rannte
Grover wurde groß mit einer einfachen Idee: Technik nicht kaufen, sondern mieten. Smartphones, Laptops, VR-Brillen, Drohnen – wer etwas nutzen, aber nicht besitzen wollte, fand bei Grover ein Angebot. Das passte perfekt zum Zeitgeist. Weniger Elektroschrott, mehr Nachhaltigkeit, alles bequem per Abo.
2022 knallten die Sektkorken: Grover stieg in die Riege der deutschen Einhörner auf. Bewertung: über eine Milliarde Euro. Kapital floss reichlich – insgesamt rund 1,4 Milliarden Euro, davon über 250 Millionen als Eigenkapital.
Doch der Traum hatte einen Haken: Das Geschäft brannte Geld. Viel Geld. Die letzten veröffentlichten Zahlen stammen aus dem Jahr 2022: 48 Millionen Euro Umsatz – bei 70 Millionen Euro Verlust. Ein Geschäftsmodell, das vom Goodwill der Kapitalgeber lebte. Und von deren Geduld.
Wenn Investoren die Geduld verlieren
Im Sommer 2024 musste Grover erneut um Hilfe bitten. Eine Brückenfinanzierung über 50 Millionen Euro hielt das Unternehmen am Leben. Aber klar war: Es braucht mehr als Geld, um wieder auf Kurs zu kommen. Die Sanierung war unausweichlich.

Der jetzt beschlossene Plan sieht drastische Einschnitte vor. Einige Gläubiger verzichten auf Rückzahlungen, andere bekommen ihr Geld später. Frisches Kapital in Höhe von 30 Millionen Euro soll zusätzlich fließen. Im Gegenzug erhalten die Geldgeber und Investoren, die jetzt noch bereit sind zu zahlen, je zur Hälfte das Unternehmen.
Die Altgesellschafter, darunter Gründer Michael Cassau, verlieren die Kontrolle. Sie bleiben über sogenannte virtuelle Anteile beteiligt – und könnten im Erfolgsfall bei einem Exit rund sieben Prozent des Verkaufserlöses erhalten. Viel ist das nicht. Aber immerhin: besser als nichts.
Interne Grabenkämpfe
Hinter den Kulissen war der Deal hart umkämpft. Laut Informationen von Bloomberg sollen Gründer und Gesellschafter versucht haben, den Einstieg der Gläubiger als feindliche Übernahme zu framen. Doch die Realität ist: Grover hat keine andere Wahl. Ohne die Finanzierer wäre längst Schluss gewesen.
Dass die Gesellschafter dem Plan am Mittwoch nicht zustimmten, bleibt ein symbolischer Widerstand. Denn: Im StaRUG-Verfahren können Gruppen überstimmt werden – wenn das Gericht den Plan für rechtmäßig hält. Genau das steht nun an: Die Entscheidung liegt beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg.
Ein Modell auf dem Prüfstand
Unterm Strich bleibt eine grundsätzliche Frage offen: Ist Grovers Modell überhaupt tragfähig? Kann man mit Technik zur Miete nachhaltig Geld verdienen – oder ist das Geschäftsmodell nur mit Dauerzufuhr von Investorenkapital überhaupt am Leben zu halten?
Intern rechnet man damit, dass das Unternehmen mit den jetzt vereinbarten Maßnahmen bis 2028 durchfinanziert wäre. Fünf Jahre Zeit, um zu beweisen, dass das Abo-Modell mehr ist als eine nette Idee fürs Pitchdeck. Und dass Grover mehr kann als Wachstum ohne Gewinn.
Lehrstück für die Szene
Grovers Absturz ist nicht nur ein Einzelfall. Er steht exemplarisch für viele Start-ups, die in den letzten Jahren mit großen Visionen, aber ohne stabile Geschäftsgrundlage gewachsen sind. Die Berliner Szene schaut genau hin – denn der Fall Grover zeigt, wie eng die Luft da oben ist, wenn das Geld knapp wird und die Erwartungen nicht mehr erfüllt werden.
Für die Investoren ist der Rettungsplan ein Versuch, zumindest einen Teil ihres Einsatzes zu retten. Für Gründer Cassau ist es der vielleicht letzte Versuch, sein Lebenswerk zu bewahren. Und für die Politik ein Beispiel, dass Instrumente wie das StaRUG tatsächlich funktionieren können – wenn auch zum Preis eines vollständigen Machtwechsels.