Das politische Berlin hält den Atem an: Bundeskanzler Olaf Scholz lässt sich Zeit mit der Vertrauensfrage. Erst am 15. Januar, so sein Plan, will er die Abgeordneten über sein politisches Schicksal abstimmen lassen.
Doch was bezweckt er damit? Kritiker vermuten Kalkül, ein taktisches Abwarten – oder ist es schlicht die Notwendigkeit, letzte Projekte der Ampel-Koalition doch noch abzuschließen?
Die Verzögerung wirft Fragen auf, und ein Blick ins Grundgesetz zeigt, was die Verfassung in solchen Situationen vorschreibt.
Die Vertrauensfrage: Ein Verfassungsschutz in der Krise
Scholz beruft sich auf Artikel 68 des Grundgesetzes. Diese Regelung gibt dem Kanzler die Möglichkeit, das Vertrauen des Bundestags abzufragen. Kommt keine Mehrheit für ihn zusammen, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Recht, das Parlament aufzulösen – allerdings nur auf Vorschlag des Kanzlers.
Und es ist genau dieses Zusammenspiel, das Scholz die Kontrolle über den Zeitpunkt verschafft. Er könnte theoretisch bereits nächste Woche die Vertrauensfrage stellen und dem Bundestag die Entscheidung überlassen.
Doch stattdessen zögert er – vermutlich, um den Parteien eine kurze Wahlkampfpause über Weihnachten zu ermöglichen.
Verzögerung als Strategie?
Scholz’ Kritiker, besonders in den Reihen der Opposition, sind sich sicher: Das Hinauszögern dient ihm selbst. Würde die Vertrauensfrage noch in diesem Jahr kommen, wäre die Bundestagswahl mitten in die Weihnachtszeit gefallen – eine Phase, in der viele Wählerpolitik beiseitelassen.
Stattdessen könnte die Verzögerung ein strategisches Manöver sein, um die SPD rechtzeitig zum Wahlkampfstart gut aufzustellen.
„Das ist kein neutraler Schachzug“, so ein Abgeordneter der Union, „Scholz weiß genau, was er tut.“
Hamburg im Rücken? Scholz setzt auf die Heimat
Hinter dem späten Termin steckt möglicherweise noch ein anderer Gedanke. Anfang März wählt Hamburg, die SPD-Hochburg und Scholz’ Heimatstadt, ein neues Parlament.
In der SPD hofft man darauf, dass ein erfolgreicher Start in Hamburg dem Kanzler einen Rückenwind für die Bundestagswahl verschaffen könnte. Scholz selbst hält sich zu seinen Motiven bedeckt, aber das Timing legt die Vermutung nahe, dass die Hamburger Bürgerschaftswahl seinen Fahrplan beeinflusst.
Die Vertrauensfrage in der Geschichte: Schröders Präzedenzfall
Scholz wäre nicht der erste Kanzler, der die Vertrauensfrage zu taktischen Zwecken nutzt. 2005 nutzte sein Vorgänger Gerhard Schröder die Vertrauensfrage als Mittel, um Neuwahlen durchzusetzen, nachdem er das Vertrauen in seine Regierung offiziell in Frage gestellt hatte.
In seinem Fall gab es jedoch eine Mehrheit im Bundestag, die seine Regierung unterstützte. Dennoch entschied das Bundesverfassungsgericht, Schröder freie Hand zu lassen.
Mit diesem Präzedenzfall könnte Scholz auch diesmal auf eine verfassungskonforme Unterstützung setzen, selbst wenn sein Schritt als taktisches Kalkül interpretiert wird.
Bundestag in Erwartung
Während Scholz seine Entscheidung hinauszögert, bleibt der Bundestag in einer unklaren Situation. Auch wenn die Opposition auf einen schnelleren Prozess drängt, bleibt der Kanzler derjenige, der den Zeitpunkt festlegt.
Bundespräsident Steinmeier, der letztlich die Entscheidung über eine Auflösung des Bundestages treffen muss, zeigte sich indes skeptisch gegenüber einem politisch gelähmten Parlament.
Scholz steht damit vor einer heiklen Frage: Zögert er noch lange, könnte sich der Unmut gegen seine Taktik wenden. Aber das letzte Wort liegt – zumindest bis zum 15. Januar – bei ihm.
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