Der zweite Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine markiert einen bedeutsamen Fakt: Österreich bezieht nach wie vor einen Großteil seines Gases aus Russland. Laut der österreichischen Energie-Regulierungsbehörde E-Control liegt der russische Anteil an importiertem Erdgas dieses Jahr im Durchschnitt bei 60 Prozent. Im September lag dieser Wert sogar bei 80 Prozent, ähnlich hoch wie zu Beginn des Krieges. Angesichts dieser Tatsache haben der ehemalige E-Control-Chef Walter Boltz und der Ex-Chef des Energiekonzerns OMV, Gerhard Roiss, vor den möglichen Konsequenzen eines Ausfalls der Gaslieferungen aus Russland gewarnt.
Boltz betonte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, dass ein solcher Ausfall zu hohen Preisen führen würde. Obwohl Österreich genügend Reserven für einen solchen Notfall eingelagert hat, wird Gas dennoch teurer werden, da die Pipeline-Kapazitäten auf der Alternativ-Route von Deutschland nach Österreich begrenzt sind, so Boltz. Der Experte und Roiss, der beide als Berater des Energieministeriums in Wien engagiert wurden, kritisierten zudem den Mangel an Fortschritten beim Ausbau einer Gasleitung aus Deutschland seitens des Pipeline-Betreibers Gas Connect Austria (GCA). GCA-Chef Stefan Wagenhofer argumentierte jedoch in einem Radiointerview, dass derzeit die Mengen noch aus Russland kommen.
Das russische Gas gelangt über die Ukraine nach Österreich. Auch wenn Kiew den Gas-Transitvertrag mit dem russischen Gazprom-Konzern auslaufen lassen will, versichert die ukrainische Vizepremierministerin Olha Stefanischyna, dass dies keine Auswirkungen auf den Gasfluss nach Österreich haben werde. Die E-Control sieht jedoch weiterhin die Gefahr, dass die Pipeline im Verlauf des Konflikts beschädigt werden könnte. "Die Leitung liegt nach wie vor im Kriegsgebiet", sagte Carola Millgramm, die Leiterin der Gas-Abteilung bei E-Control. Sie betonte, dass es für GCA eine Verpflichtung sei, den bereits genehmigten Ausbau der Pipeline umzusetzen.
Millgramm geht davon aus, dass im Winter eine sichere Versorgung gewährleistet sein wird, sofern die Gasimporte stabil bleiben. Im Gegensatz zu Boltz hält sie die Transportkapazitäten auf Alternativrouten aus Italien oder Deutschland für ausreichend.
Bisher hat Österreich nicht auf russisches Gas verzichtet, da der aktuelle Liefervertrag mit Gazprom noch bis 2040 gültig ist. Ob die OMV als Vertragspartner jemals versucht hat, einen Ausstieg zu verhandeln, wollte das teilstaatliche österreichische Unternehmen der dpa gegenüber nicht kommentieren.
Die OMV hat jedoch alternative Gasquellen als Puffer für den Fall eines Lieferstopps gesichert. Boltz gab zu bedenken, dass die meisten regionalen Energieversorger weiterhin stark auf Russland setzen. "Ich habe den Eindruck, dass die Firmen ein bisschen den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass es schon nicht so schlimm kommen wird", so Boltz abschließend.