Kein rhetorisches Manöver, kein Versprecher – sondern eine bewusst gesetzte politische Botschaft: Jens Spahn, einst Gesundheitsminister, heute stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag, hat öffentlich dazu aufgerufen, die AfD künftig „wie jede andere Oppositionspartei“ zu behandeln.
Ein Satz, der für einen innerparteilichen Flächenbrand sorgt – und in Zeiten schwindender Volksparteien als deutliches Zeichen gewertet werden kann: Die CDU, lange auf einem Kurs der klaren Abgrenzung, ringt erkennbar mit ihrer Haltung zur Partei rechts der Union.
„Die AfD sitzt da, weil Millionen sie gewählt haben“
Spahns Argumentation ist nüchtern – fast kühl. Millionen Deutsche hätten die AfD gewählt, die Politik müsse das akzeptieren. Nicht im Sinne einer inhaltlichen Annäherung, so sein Kalkül, sondern aus Respekt vor dem Wählerwillen.
Gleichzeitig warnt er davor, auf jede Provokation hereinzufallen, die von der AfD inszeniert werde. Weniger Empörung, mehr Strategie – so lässt sich seine Position zusammenfassen.
Doch damit stößt Spahn eine Tür auf, an deren Schwelle sich bislang kaum jemand in der CDU offen platzieren wollte: die Frage, ob der bislang geltende Kurs der strikten Abgrenzung angesichts der AfD-Erfolge noch haltbar ist – oder ob er zur politischen Sackgasse wird.

AfD auf dem Vormarsch – besonders im Osten
Der Zeitpunkt seines Vorstoßes ist kein Zufall. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen Landtagswahlen bevor. Die AfD führt in mehreren Umfragen, in manchen Regionen liegt sie bei über 30 Prozent.
Viele Kommunalpolitiker in ländlichen Räumen berichten schon heute, dass sie im Alltag kaum noch zwischen sachlicher Zusammenarbeit und parteipolitischer Abgrenzung navigieren können.
Was für Berlin wie Prinzipienfestigkeit aussieht, wirkt auf lokaler Ebene längst wie Realitätsverweigerung. Diese Diskrepanz macht Spahns Intervention so brisant – und so wirksam.
Signal an die eigene Partei – oder an potenzielle Wähler?
Doch was steckt politisch hinter Spahns Positionierung? Ein Tabubruch auf Raten? Eine Verzweiflungstat angesichts der Umfragewerte? Oder eine bewusst gesetzte Öffnung hin zu jenen bürgerlich-konservativen Wählern, die der CDU in den vergangenen Jahren abhandengekommen sind?
Fest steht: Innerhalb der Union ist Spahn nicht allein. Auch Friedrich Merz hatte bereits mehrfach für eine „pragmatische Auseinandersetzung“ mit der AfD geworben – bis er bei öffentlichen Äußerungen regelmäßig zurückrudern musste.
Die Parteibasis indes zeigt sich oft weniger zögerlich. Gerade im Osten wächst der Druck, mit der AfD zumindest auf kommunaler Ebene Arbeitsfähigkeit zu signalisieren.
Das strategische Dilemma der Mitte
Die CDU steckt in einem Dilemma: Zu viel Nähe zur AfD droht den Markenkern zu beschädigen – besonders in westdeutschen Bundesländern. Zu viel Abgrenzung jedoch kann im Osten als Arroganz empfunden werden – und weiter Wähler kosten.
Spahns Position ist also kein Ausrutscher, sondern Ausdruck eines realpolitischen Spannungsfelds, in dem sich die Union bewegt. Die Frage lautet nicht mehr, ob man sich zur AfD positionieren muss, sondern wie – ohne den demokratischen Anspruch aufzugeben.
Kritik von allen Seiten – und doch keine klare Linie
Die Reaktionen auf Spahns Äußerungen fallen entsprechend heftig aus. Während AfD-Politiker sie als ersten Schritt zur „Normalisierung“ ihrer Partei feiern, werfen Kritiker aus SPD, Grünen und FDP der CDU vor, „mit dem Feuer zu spielen“.
Aus der eigenen Partei kommt Schweigen – oder diplomatische Zurückhaltung. Derweil spekulieren Beobachter, ob Spahn ein größeres Ziel verfolgt: eine innerparteiliche Machtverschiebung, ein Testballon für die Zeit nach Merz, oder schlicht ein realistischer Vorstoß in einem sich verändernden politischen Koordinatensystem.
Veränderte Öffentlichkeit, veränderte Taktik
Denn es ist nicht nur die Parteienlandschaft, die sich verändert. Auch der politische Diskurs ist rauer, zersplitterter, polarisierter. Die AfD profitiert dabei nicht nur von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen, sondern von einer strategischen Schwäche ihrer Gegner: Wer sich nur über Empörung definiert, bietet keine überzeugende Alternative.
Insofern könnte Spahns Vorstoß auch als Versuch gewertet werden, den politischen Umgang mit der AfD auf eine rationalere Ebene zu heben. Sachpolitik statt Reflex – eine gefährliche Gratwanderung, aber womöglich der einzig wirksame Weg, um der AfD auf Dauer politisch den Boden zu entziehen.