Eine jüngst verabschiedete Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes sorgt aktuell für erhebliche Unruhe bei kommunalen Entscheidungsträgern. Der Deutsche Städtetag sieht durch die neuen Regelungen wichtige Bauvorhaben auf nicht mehr genutzten Bahnflächen nahezu unmöglich gemacht. Besonders betroffen: die Stadt Stuttgart. Geplant ist dort der Bau Tausender Wohnungen auf dem Gelände des derzeitigen Hauptbahnhofes – ein Vorhaben, das laut Städtetag nun deutlich erschwert wird.
Die Änderung, die Ende des vergangenen Jahres in Kraft trat, betrifft die sogenannte Entwidmung von Bahnflächen. Diese Flächen können nur dann für andere Zwecke verwendet werden, wenn das Interesse dieser neuen Projekte das "überragende öffentliche Interesse" der Bahnbetriebsflächen überwiegt. Mit diesen neuen Regelungen will der Bund verhindern, dass potentiell wieder benötigte Flächen vorschnell verkauft und damit irreversibel einer anderen Nutzung zugeführt werden. Hintergrund ist der jahrzehntelange Rückbau des Bahnnetzes, der heute immer noch spürbare negative Folgen für den Bahnverkehr und seine Nutzer hat.
Der Städtetag jedoch kritisiert, dass diese neuen Hürden zu hoch angesetzt sind. In einem Schreiben an seine Mitglieder verweist der Verband auf die Position des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA), dem zufolge nur Projekte von ebenfalls überragend öffentlichem Interesse realisiert werden dürfen. Dazu könnten Vorhaben im Bereich der Landesverteidigung, erneuerbarer Energien oder bestimmter Bundesstraßen zählen – Wohnungsbau oder die Schaffung von Arbeitsplätzen fallen jedoch nicht darunter.
Auch Stuttgart ist von dieser neuen Regelung betroffen. Die Stadt hat bisher noch keinen Antrag auf Entwidmung des Gleisvorfeldes gestellt, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Grünen-Politikers Matthias Gastel hervorgeht. Gastel ist der Ansicht, dass das aktuelle Gesetz eine Entwidmung zugunsten von Gebäuden nicht zulässt und befürwortet weiterhin hohe Hürden für solche Anträge. Eine Änderung des Gesetzes hält er jedoch für denkbar, solange die hohen Anforderungen bestehen bleiben.
Die Stadt Stuttgart erhebt verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese neue Rechtslage. Ein Sprecher der Landeshauptstadt argumentiert, dass der Bund keine Flächen ohne konkrete Planungen für sich behalten dürfe. Sollte keine klare zukünftige Nutzung seitens des Bundes vorgesehen sein, dürften diese Flächen nicht dem städtischen Planungsrecht entzogen werden. Eine bloße Vorhaltung von Flächen für eine mögliche zukünftige Nutzung reiche verfassungsrechtlich nicht aus, um die Entwidmung zu verhindern.
Der Städtetag warnt indes vor weitreichenden Folgen über Stuttgart hinaus. Eine erste Umfrage bei den Mitgliedern des Bau- und Verkehrsausschusses führe zu der Befürchtung, dass viele Projekte vor Ort ins Stocken geraten könnten, insbesondere auch im Wohnungsbau. Stuttgart plant, sich mit anderen betroffenen Städten zu vernetzen und gemeinschaftlich für die Wahrung ihrer Rechte zu kämpfen.