Das Bayerische Oberste Landesgericht wird am Freitag erstmals über eine Musterklage verhandeln, die im Zusammenhang mit dem spektakulären Zusammenbruch von Wirecard steht. Der Fokus liegt weniger auf dem einst glanzvollen DAX-Unternehmen selbst, sondern vielmehr auf der Rolle des Wirtschaftsprüfungsriesen Ernst & Young (EY), der die mutmaßlich manipulierten Abschlüsse des Unternehmens geprüft hatte. Rechtsanwalt Peter Mattil, der einen hessischen Aktionär vertritt, erwartet ein vergleichsweise rasches Urteil in den kommenden Jahren; allerdings sind bis dahin noch einige rechtliche Hürden zu überwinden.
Mattil äußerte gegenüber der Presse, dass die umfangreichen Feststellungsziele des Verfahrens, die auf 800 Seiten zahlreiche Pflichtverletzungen von EY umreißen, einer gründlichen Prüfung bedürfen. Ein zügiges Gerichtsgutachten könnte den Prozess in der ersten Instanz bis in drei Jahren abschließen, so seine Hoffnung. EY wehrt sich unterdessen vehement gegen die Anschuldigungen und weist die Schadenersatzforderungen als unbegründet zurück.
Das Gericht wird zunächst klären müssen, ob EY im Rahmen des Kapitalanleger-Musterverfahrens überhaupt belangt werden kann. Im Fokus steht dabei die Frage, ob die von EY geprüften Wirecard-Bilanzen als Kapitalmarktinformationen einzustufen sind. Für Investoren, die durch irreführende Gewinnmeldungen hohe Verluste erlitten, ist der Beweis der Täuschungsabsicht von entscheidender Bedeutung.
EY nimmt in der Liste der elf Musterbeklagten den zweiten Platz hinter dem ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun ein. Dies ist angesichts Brauns dramatischem Vermögensverlust durch den Zusammenbruch des Unternehmens nur wenig überraschend. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten Brauns und der weiteren Beklagten, die allesamt mit Wirecard in Verbindung stehen, sind begrenzt, sodass EY als Hauptziel der Klagen erscheint.
Der Musterprozess, der zivilrechtlich unabhängig vom parallelen Strafverfahren verläuft, soll erstmals einen Überblick über die 8.500 auf Eis gelegten Schadenersatzklagen im Gesamtwert von 750 Millionen Euro geben. Die Aktie von Wirecard stürzte nach Höhenflügen im Jahr 2018 dramatisch ab - ein finanzielles Fiasko für tausende Anleger.
Bayerns Gericht steht unter Druck, ein kompliziertes Verfahren effizient zu leiten, doch Kritiker wie die Aktionärsgemeinschaft SdK zweifeln an der Leistungsfähigkeit der Justiz angesichts fehlender Digitalisierung und angeblich begrenzter personeller Ressourcen. Trotz dieser Umstände gibt sich Mattil zuversichtlich, dass der Prozess eine schier endlose Dauer, wie es das Telekom-Verfahren vormachte, vermeiden kann. Ob dies so sein wird, bleibt mit Spannung abzuwarten.