203 Quadratkilometer – das ist alles, was der russischen Armee im März geblieben ist. Noch im November hatte der Kreml mit einer neuen Welle kleiner Bodenoffensiven auf breiter Front die ukrainischen Verteidigungslinien unter Druck gesetzt – mit brutaler Konsequenz, aber auch messbarem Geländegewinn.
Damals sprach das britische Verteidigungsministerium von rund 730 Quadratkilometern, die Moskau im Monat eroberte.
Heute, keine fünf Monate später, sind davon nur noch Reste übrig. Die Offensive ist ins Stocken geraten – und das gleich aus mehreren Gründen.
Ukraine wehrt sich gezielt – und mit Wirkung
Laut dem „Institute for the Study of War“ (ISW) aus Washington hat sich die russische Vormarschgeschwindigkeit seit November drastisch reduziert.
Im März lag sie bei nur noch 78 Quadratmeilen – das entspricht 203 Quadratkilometern. Die Briten kommen sogar nur auf 55 Quadratmeilen (etwa 143 Quadratkilometer). Ein Rückgang um über 80 Prozent.
Die Ursachen sind vielschichtig: Neben dem gefrorenen Gelände und erschöpften Einheiten haben vor allem ukrainische Gegenangriffe rund um Torezk und Pokrowsk Moskaus Vorstöße empfindlich getroffen.
Beide Orte galten Anfang des Jahres als nahezu gesichert – inzwischen ist die Frontlinie dorthin zurückgeschoben worden. Die Strategie: gezielter Gegendruck an Flanken, wo russische Truppen durch ihre starren Angriffsmuster verwundbar wurden.
Russische Erfolge ohne operative Tiefe
Besonders auffällig: Selbst dort, wo Russland weiterhin Gelände gewinnt, verbessert sich die strategische Lage kaum. Laut britischem Geheimdienst sei die Lage rund um Donezk exemplarisch: Zwar gelinge es Russland, einzelne Orte einzunehmen – jedoch ohne Versorgungswege abzusichern oder die Linien in die Tiefe zu stabilisieren.
Der Preis dafür ist hoch: Laut westlichen Schätzungen kostete die Herbstoffensive bis zu 1.500 russische Soldaten täglich das Leben oder führte zu schweren Verwundungen.

Im gesamten Jahr 2024 habe Russland laut ukrainischen Angaben rund 1.600 Quadratmeilen Gelände gewonnen – aber über 427.000 Verwundete oder Tote dafür in Kauf genommen. Der Preis pro Kilometer ist grotesk hoch – und politisch kaum vermittelbar.
Mobilisierung an der Grenze zur Erschöpfung
Russlands militärische Strategie basiert weiter auf Masse statt Manöver. Tausende neue Soldaten werden regelmäßig eingezogen oder mit hohen Prämien zum Dienst bewegt – doch der Nachschub wird nicht nur teuer, sondern auch schwieriger.
Wer heute in Russland kämpft, tut es oft nicht aus Überzeugung, sondern gegen Bezahlung. Das zehrt an der Moral – und lässt Zweifel am Durchhaltevermögen aufkommen.
Hinzu kommt der wachsende soziale Preis: Die russische Regierung muss nicht nur die Versorgung von Hunderttausenden Verwundeten organisieren, sondern auch Entschädigungszahlungen an Hinterbliebene leisten. Der Haushalt des Verteidigungsministeriums wurde deshalb erneut ausgeweitet – zulasten ziviler Ausgaben.
Narrativ der Ausdauer – Kiew setzt auf strategischen Atem
In der Ukraine wächst unterdessen das Vertrauen in die eigene Widerstandskraft. Auch wenn westliche Militärhilfen weiterhin schleppend ankommen, hat sich in Kiew das Kalkül etabliert: Wenn Russland weiter im gleichen Tempo Soldaten und Ressourcen verheizt, wird die eigene Verteidigung langfristig siegen – nicht durch schnelle Gegenoffensiven, sondern durch das Aushungern des Gegners.
Der Krieg wird zur Verschleißschlacht. Und Moskaus Bilanz der letzten Monate zeigt: Der Preis für jeden weiteren Vormarsch steigt, die Geschwindigkeit sinkt – und operative Überraschungen fehlen.
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