21. April, 2025

Unternehmen

Monsanto-Milliarden, Glyphosat-Risiken und das juristische Endspiel

Über 180.000 Klagen, milliardenschwere Rückstellungen, wackelnde Marktanteile und ein beschädigtes Image: Der Pharmakonzern Bayer steckt tiefer denn je im Glyphosat-Sumpf – und ein Ende der juristischen Dauerkrise ist nicht in Sicht.

Monsanto-Milliarden, Glyphosat-Risiken und das juristische Endspiel
35 Milliarden Euro Schulden, Milliardenrisiken durch Glyphosat – Bayer steht unter strategischem und finanziellem Hochdruck.

Ein US-Kauf, der zu teuer war – nicht nur finanziell

Bayer wollte 2016 die Zukunft kaufen – und importierte sich stattdessen einen Jahrhundertkonflikt. Die 66 Milliarden Dollar schwere Übernahme von Monsanto sollte den Leverkusenern Zugang zu einem der größten Agrarchemie-Geschäfte der Welt verschaffen.

Bekommen hat Bayer nicht nur Saatgut und Marktanteile, sondern auch eine rechtliche Altlast von historischem Ausmaß: Glyphosat.

Was in der Landwirtschaft über Jahrzehnte als effektivster Unkrautvernichter galt, ist heute Gegenstand zehntausender Klagen. Allein für die bisherige Beilegung der Roundup-Fälle zahlte Bayer rund zehn Milliarden Dollar – weitere zwei Milliarden an Straf- und Schadenersatz könnten folgen.

Die Zahl der Verfahren ist von 4.000 auf über 181.000 gestiegen. Und das Vertrauen in das Management? Bröckelt.

Georgia, Missouri, Kalifornien – ein Flickenteppich amerikanischer Gerichtsurteile

Der Fall „Barnes“ in Georgia markiert eine neue Eskalationsstufe. Ein Geschworenengericht sprach dem Kläger 65 Millionen Dollar Schadenersatz und zwei Milliarden Dollar Strafschadenersatz zu – eine Summe, die selbst für Bayer gefährlich wird.

Zwar hat der Konzern Berufung angekündigt, doch der US-Kurs ist klar: Gerichte erkennen die EPA-Zulassung auf Bundesebene nicht immer als immunisierenden Schutzschild.

In Missouri kämpft Bayer parallel im Fall Durnell vor dem Supreme Court um ein Grundsatzurteil – und damit um juristische Klarheit, ob ein bundesrechtlich genehmigtes Produkt trotz EPA-Label auf Basis einzelstaatlicher Regeln verurteilt werden darf.

In den USA längst Alltag – in Europa politischer Zankapfel: Die Zukunft des Glyphosat-Wirkstoffs ist hoch umstritten.

Bayer argumentiert: Der Etiketten-Konflikt zwischen Bund und Land sei unvereinbar mit dem US-Rechtsverständnis. Die Gegenseite sieht das anders – und mobilisiert weiter Millionen für neue Klagen.

35 Milliarden Euro Schulden und keine strategische Antwort

Dass der Konzern operativ angeschlagen ist, ist inzwischen nicht mehr nur eine Börsenfrage. Der Aktienkurs hat sich halbiert. Die Schuldenlast beträgt über 35 Milliarden Euro. Verkaufsoptionen von Firmenteilen liegen auf dem Tisch. Sogar eine Kapitalerhöhung oder – inoffiziell – eine Diskussion über mögliche Staatshilfen ist nicht mehr ausgeschlossen.

Bayers Strategie wirkt dabei zunehmend reaktiv. Zwar betont man, man werde „alle rechtlichen Mittel ausschöpfen“, doch der Markt fragt sich: Warum hat man den Deal je unterschrieben?

Das „Wall Street Journal“ spricht bereits von einer der schlechtesten Unternehmensübernahmen der Neuzeit – und das nicht nur wegen der Summen.

Ist Glyphosat wirklich krebserregend?

Auf der Faktenseite ist die Lage nicht eindeutig. Die Internationale Krebsagentur IARC stuft Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein – auf Basis von Tierversuchen und toxikologischen Verdachtsmomenten.

Die US-Umweltbehörde EPA sieht das anders und verweigert eine Krebswarnung auf dem Etikett. Die EFSA in Europa, das deutsche BfR, sowie Behörden in Kanada, Japan und der Schweiz schließen ein Krebsrisiko bei sachgemäßer Anwendung ebenfalls aus.

Doch: Die Studien, die Glyphosat Unbedenklichkeit bescheinigen, stammen zu einem Großteil aus industrienahen Quellen – teils von Monsanto mitfinanziert. Umgekehrt stehen auch Kritiker wie der französische Forscher Gilles-Eric Séralini in der Kritik, methodisch fragwürdig und interessengeleitet gearbeitet zu haben. Besonders brisant: Einer der IARC-Gutachter, der US-Statistiker Christopher Portier, soll Beraterverträge mit US-Kanzleien gehabt haben, die Bayer verklagen.

Die Wahrheit? Liegt irgendwo zwischen wissenschaftlichem Diskurs und strategischer Interessenvertretung. Klar ist: Der Glyphosat-Streit ist nicht allein ein medizinisches Thema, sondern längst ein politisch-juristisches Schlachtfeld.

Leverkusen unter Druck – Bayer steht am Scheideweg

Für Bayer geht es nun um mehr als Schadensbegrenzung. Der Konzern steht vor einer strategischen Weggabelung: Entweder gelingt es, juristisch einen Befreiungsschlag zu erzielen – etwa durch ein Grundsatzurteil des Supreme Court. Oder man muss offen über ein Spin-off von Monsanto, über operative Schrumpfung oder sogar einen staatlich koordinierten Rettungsplan nachdenken.

Die Lage erinnert an den Fall Johnson & Johnson: Auch dort wollte man Schadenersatzrisiken in ein insolvenzfähiges Unternehmen auslagern – ein texanisches Gericht stoppte die Pläne. Eine Strategie, die Bayer laut internen Berichten ebenfalls erwogen hatte. Doch juristisch scheint auch dieser Weg inzwischen versperrt.

Bayer, Monsanto, Glyphosat – ein globales Mahnmal für toxische Übernahmen?

Was bleibt, ist ein Lehrstück in Sachen Risikomanagement: Die Monsanto-Übernahme hat Bayer nicht nur finanziell, sondern auch moralisch in eine Zwickmühle gebracht. Der Konzern verteidigt ein Produkt, das regulatorisch erlaubt, aber gesellschaftlich zunehmend geächtet ist. Und steht gleichzeitig vor einem Schuldenberg, der das operative Geschäft stranguliert.

Was fehlt, ist eine klare Vision für den Weg nach vorn – jenseits der Verteidigung vor Gericht. Denn selbst wenn Bayer weitere Prozesse gewinnt, bleibt der Schaden. Ein Imageverlust, den kein Urteil der Welt reparieren kann.

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