Millionen Mieter in Deutschland müssen sich spätestens in einem halben Jahr umstellen, um weiterhin Fernsehen in ihrer Wohnung empfangen zu können. Ab dem 1. Juli dürfen Vermieter die Kosten für das Kabelfernsehen nicht mehr auf die Nebenkosten umlegen. Diese Praxis betraf in den letzten Jahrzehnten rund 12 Millionen Mieter. Das sogenannte Nebenkostenprivileg, das den Kabelnetzbetreibern Vodafone und Tele Columbus einen Vorteil verschaffte, läuft somit aus. Stattdessen wird die TV-Übertragung über das Internet immer attraktiver. Anbieter wie Magenta TV von der Deutschen Telekom sowie Waipu und Zattoo punkten mit ihren Angeboten.
Ein Teil der Mieter möchte die bisherige Zwangsabgabe für das Kabelfernsehen nicht mehr zahlen. Bislang musste jeder Mieter die Kabelgebühren entrichten, wenn der Vermieter dies wünschte – auch wenn der Mieter das lineare Fernsehen gar nicht nutzte. Einige zahlten somit doppelt: für den ungenutzten Kabelanschluss und für einen anderen Übertragungsweg mit mehr Möglichkeiten. Viele verzichteten jedoch aufgrund der Doppelzahlung auf Alternativen. Nun, da die Pflichtzahlung wegfällt, wird die Nachfrage nach Konkurrenzangeboten wahrscheinlich steigen.
Kabelanbieter Vodafone erwartet Umsatzeinbußen
Vodafone geht in einer Investorenpräsentation auf die Folgen der Gesetzesänderung ein und nennt eine geschätzte Umsatzzahl von etwa 800 Millionen Euro im Jahr. Dabei handelt es sich laut der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" um 8,5 Millionen TV-Kunden, die über Wohnungsbaugesellschaften versorgt werden. Insgesamt hat Vodafone eigenen Angaben zufolge 13 Millionen Kabelkunden, von denen der Großteil nun vertraglich neu geregelt werden muss.
Marc Albers, Manager bei Vodafone, sieht die bevorstehenden Einbußen als Herausforderung an. Dennoch ist er optimistisch, dass das Unternehmen die Mieter weiterhin von seinen Angeboten überzeugen kann. Tele Columbus hingegen spricht von "gewissen geschäftlichen Risiken".
Für Kabelkunden wird es etwas teurer
Die Kabelanbieter bieten nun neue Verträge und Vereinbarungen an, um Mietern außerhalb der Nebenkosten weiterhin relativ günstige Konditionen zu ermöglichen. Dafür haben sie Kooperationen mit Wohnungsbaugesellschaften abgeschlossen. Durch diese Verträge mit vielen Nutzern waren die Durchschnittskosten pro Wohnung bisher niedrig – bei Vodafone beispielsweise zwischen sieben und neun Euro.
In Zukunft sollen es je nach Teilnehmerzahl acht bis zehn Euro sein, sofern eine der neuen Vereinbarungen genutzt wird. Falls jedoch kein Rahmenvertrag besteht und der Mieter als Einzelkunde auf sich allein gestellt ist, muss er bei Vodafone künftig monatlich knapp 13 Euro zahlen.
Vodafone setzt im Kampf um Kunden auf Gewohnheit
Im Wettbewerb um die Gunst der Kunden setzt Vodafone auf die Macht der Gewohnheit. Laut Manager Marc Albers zeigt die Marktforschung, dass viele Mieter "Fernseh-Puristen" sind und ihre gewohnten Programme ihnen wichtiger sind als Streaming-Dienste oder Internetfernsehen. Vodafone möchte den Kunden den Umstieg auf andere Technologien ersparen, wie beispielsweise das Umschalten des Kabels, die Installation zusätzlicher Geräte, die Verwendung einer zweiten Fernbedienung oder das Neusortieren von Programmen. Beim Fernsehempfang über Kabel bleibt laut Albers alles so, wie es ist.
Konkurrenten sehen ihre Chance
Die Deutsche Telekom hingegen verweist auf die veränderten Gewohnheiten vieler Menschen. Laut Manager Arnim Butzen sind die Kundinnen und Kunden von Magenta TV im Gegensatz zum Kabelfernsehen nicht an einen bestimmten Ort wie das Wohnzimmer gebunden. Sie könnten das Fernsehen nutzen, wann und wo immer sie möchten – zuhause auf dem TV-Gerät, in der Bahn auf dem Smartphone oder auf dem Balkon mit dem Tablet.
Die Konkurrenten hoffen auf einen großen Marktanteil, der bisher fest in der Hand von Vodafone und Co. liegt. Telekom-Manager Butzen schätzt, dass die Kabelanbieter bis zu zwei Drittel ihrer TV-Haushalte verlieren könnten. Für das TV-Angebot der Telekom ist das Auslaufen des Nebenkostenprivilegs eine große Chance, wie er betont. Das Unternehmen rechnet mit einem deutlichen Kundenzuwachs. Vodafone hingegen verweist auf eine eigene Umfrage, wonach die meisten Kabelkunden keine Änderungen wünschen.
Auch Anbieter von Satelliten-TV sehen Chancen
Frank Lilie vom Satelliten-TV-Anbieter Astra sieht viele Marktprognosen als spekulativ an. Klar sei aber, dass es eine Bewegung weg vom Kabel geben werde – und davon werde der TV-Empfang über Satellit profitieren. Eine Alternative zum Kabel-Fernsehen ist der Empfang über eine Satellitenschüssel am Balkon oder auf dem Dach. Zudem gibt es noch das Antennenfernsehen und die genannten Onlinedienste.
Wer einen Internetanschluss hat, kann zum Beispiel über Waipu.tv auf eine Vielzahl von Fernsehsendern und Streamingdiensten zugreifen. Waipu gibt an, bereits 1,3 Millionen zahlende Abonnenten zu haben, mit steigender Tendenz. Auch Konkurrent Zattoo sieht im Auslaufen der gesetzlichen Frist "enorme Chancen" und geht davon aus, einen signifikanten Anteil der wechselwilligen Kabelkunden von seinem Angebot überzeugen zu können.
Bisher sind nur wenige "Cable-Cutter" zu verzeichnen
Beim Kabelanbieter Tele Columbus mit der Marke P?UR geht man gelassen mit der Situation um. Pressesprecher Sebastian Artymiak geht davon aus, dass die Kunden ihre Entscheidung bezüglich des Übertragungsweges bereits getroffen haben. Die Kundenverluste hielten sich bisher in Grenzen, so Artymiak. Der Anteil der sogenannten "Cable-Cutter" sei immer noch gering. Das Gesetz zur Abschaffung des Nebenkostenprivilegs trat im Dezember 2021 in Kraft und sieht eine Übergangsfrist bis Mitte 2024 vor.
Was passiert, wenn bis zum 1. Juli nichts unternommen wird und die Frist verstreicht? Sebastian Artymiak erklärt, dass die Abschaltungen nicht von einem Tag auf den anderen erfolgen würden. Allerdings werde ein Kabelanschluss ohne Vertrag letztendlich stillgelegt.