28. Dezember, 2024

Politik

Messerangriffe in Deutschland: Die unsichtbare Epidemie

Verschärftes Waffenrecht allein reicht nicht – Polizei und Gesellschaft stehen vor einer enormen Herausforderung.

Messerangriffe in Deutschland: Die unsichtbare Epidemie
Der GdP-Bundesvorsitzende fordert schärfere Maßnahmen gegen Messerkriminalität. "Deutschland hat ein Messerproblem", warnt er und kritisiert fehlende Polizeikapazitäten für effektive Kontrollen.

Deutschland hat ein Messerproblem. Mit diesen Worten brachte Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), eine alarmierende Entwicklung auf den Punkt: Messerangriffe sind alltäglich geworden.

Zahlen aus dem Jahr 2023 zeigen einen Anstieg gefährlicher und schwerer Körperverletzungen mit Messern um knapp 10 Prozent auf fast 9.000 Fälle – eine besorgniserregende Entwicklung, die sich auch 2024 fortsetzt.

Doch wie konnte es so weit kommen? Und was unternimmt die Politik? Ein Blick auf die Zahlen, die Maßnahmen und die offenen Fragen hinter der Debatte zeigt, warum sich die Lage so schwierig gestaltet.

Ein Problem, das keiner sieht: Die schwierige Datenlage

Das Hauptproblem beginnt bei den Zahlen. Laut Kopelke mangelt es an einer umfassenden und standardisierten Erfassung von Messerangriffen. Erst ab 2025 sollen solche Vorfälle systematisch registriert werden.

Der Grund: Messerangriffe werden bislang nur erfasst, wenn sie direkt in einem Delikt wie Raub oder Körperverletzung verwendet werden. Das bloße Mitführen eines Messers – etwa eines Klappmessers oder Küchenmessers – bleibt in vielen Fällen unsichtbar.

Die bisherigen Zahlen zeichnen dennoch ein düsteres Bild. So waren 2023 nicht weniger als 10,9 Prozent aller Raubdelikte mit einem Messer verbunden. Besonders auffällig ist, dass vor allem junge Männer diese Waffen immer häufiger bei Übergriffen einsetzen.

Hinzu kommt, dass viele Streitereien – vom Familienstreit bis zur eskalierenden Auseinandersetzung unter Bekannten – zunehmend in Messerstechereien münden.


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Ein Flickenteppich bei den Maßnahmen

Die politischen Reaktionen auf die Messerkriminalität sind bislang ein Flickenteppich. Nach der tödlichen Messerattacke auf einem Stadtfest in Solingen im August 2023 verabschiedete die Ampelkoalition ein Sicherheitspaket, das auch Verschärfungen im Waffenrecht beinhaltete. Messerverbote auf Volksfesten, Sportveranstaltungen oder Weihnachtsmärkten sind seitdem möglich, und die Bundesländer haben weitergehende Befugnisse, Messerverbotszonen einzurichten.

Doch wie effektiv sind diese Regelungen? Laut der GdP mangelt es an Personal, um verdachtsunabhängige Kontrollen in den Waffenverbotszonen konsequent durchzuführen. "Die Polizisten können nicht überall sein, und die Überwachung der Verbote bleibt punktuell," kritisiert Kopelke.

Besonders in Bundesländern mit ohnehin knapp besetzten Polizeieinheiten, wie Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt, ist der Effekt begrenzt.

2023 verzeichnete die Polizei in Deutschland fast 9.000 Fälle von gefährlicher Körperverletzung mit Messern – ein Anstieg um 9,7 Prozent. Trotz neuer Gesetze fehlt es an flächendeckender Kontrolle und Prävention.

Regionale Unterschiede und internationale Einflüsse

Die Lage unterscheidet sich zudem stark von Bundesland zu Bundesland. Während Länder wie Brandenburg und Schleswig-Holstein von einem Anstieg der Messerangriffe berichten, sehen andere Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern einen Rückgang.

Auch die sozialen und kulturellen Hintergründe spielen eine Rolle: Großstädte wie Berlin oder Frankfurt, in denen die soziale Durchmischung höher ist, verzeichnen tendenziell mehr Messerkriminalität.

Ein weiterer Faktor ist die Migration. Der Solinger Fall, bei dem ein Syrer mit mutmaßlichen Verbindungen zum IS mehrere Menschen tötete, hat die Debatte über Migration und Kriminalität neu entfacht.

Solche Einzelfälle lenken jedoch oft von den tieferliegenden Ursachen ab – wie etwa sozialer Perspektivlosigkeit und Gewaltbereitschaft in Teilen der Gesellschaft.

Moderne Technik und Prävention: Die möglichen Lösungen

Neben strengeren Gesetzen fordert die Polizei vor allem mehr Ressourcen, um präventiv tätig zu werden. Videoüberwachung und der Einsatz Künstlicher Intelligenz könnten helfen, potenzielle Täter frühzeitig zu identifizieren. Allerdings sind solche Maßnahmen nicht unumstritten.

Datenschützer warnen, dass ein massiver Einsatz moderner Überwachungstechnik die Privatsphäre einschränken könnte.

Prävention auf sozialer Ebene bleibt eine weitere Baustelle. Gewaltforscher weisen darauf hin, dass viele Messerangriffe in prekären Milieus stattfinden. Bessere Bildungs- und Arbeitsmarktchancen könnten langfristig helfen, Gewaltbereitschaft abzubauen. Doch solche Maßnahmen benötigen Zeit – Zeit, die die Opfer der aktuellen Welle nicht haben.