16. April, 2025

Politik

Merz ohne Schonfrist – Deutschland vor dem globalen Stresstest

Kaum im Amt, steht Friedrich Merz unter internationalem Erwartungsdruck – und innenpolitisch am Rand des Kontrollverlusts. Warum der CDU-Kanzler jetzt liefern muss, obwohl ihm niemand Zeit lässt.

Merz ohne Schonfrist – Deutschland vor dem globalen Stresstest
Friedrich Merz tritt sein Amt inmitten internationaler Krisen an: Russlands Krieg, Chinas Machtpolitik und ein Amerika im Rückzug zwingen Deutschland in eine neue Rolle – ohne Vorbereitungszeit.

Ein kalter Start in eine heiße Phase

Friedrich Merz hat noch keinen Tag als Kanzler regiert, da liegt die Latte bereits über den Wolken. Nicht aus Berlin, sondern aus Washington, Warschau, Kiew und Taipeh kommt die Botschaft: Deutschland muss führen.

Muss Verantwortung übernehmen. Und zwar jetzt. Für den Sauerländer bedeutet das einen Start, wie ihn vor ihm kein Regierungschef der Bundesrepublik erlebt hat – ein Frontalaufprall mit der Realität.

Der Westen schaut auf Berlin – mit Hoffnung und Skepsis

Die USA sind mit sich selbst beschäftigt. China provoziert offen im Indopazifik. Russland führt Krieg. Und Europa? Sucht Halt. Das Machtvakuum, das Washington hinterlässt, wird zur Einladung an autoritäre Regime – und zur Pflicht für Berlin, mehr als nur Moderator zu sein.

Ob Deutschland bereit ist, diesen Platz einzunehmen, ist ungewiss. Dass es ihn einnehmen muss, darin sind sich viele Beobachter einig. Selbst US-Strategen, die Deutschland lange als zu zögerlich kritisierten, fordern nun Führung aus der Mitte Europas. Der frühere Bush-Berater Eliot Cohen bringt es auf den Punkt:

„Deutschland muss das Arsenal der Demokratie werden.“

CDU-Kanzler unter CSU-Druck, mit SPD-Partner

Was außenpolitisch wie eine historische Chance klingt, ist innenpolitisch ein Pulverfass. Merz regiert mit der SPD – und das ausgerechnet nach einem Wahlkampf, in dem er eine klare Abgrenzung zur Scholz-Ära versprochen hatte.

In den eigenen Reihen rumort es. Der Koalitionsvertrag liest sich vielerorts eher wie eine SPD-Bilanz als wie ein konservatives Zukunftspapier. Die Basis ist irritiert, das Vertrauen brüchig.

Merz soll zugleich versöhnen, stabilisieren und transformieren – eine Mission, für die andere Jahrzehnte hatten. Er bekommt: Wochen.

Nächste Haltestelle: NATO-Gipfel

Viel Zeit bleibt nicht. Schon im Juni steht der NATO-Gipfel in den Niederlanden an. Dort wird sich entscheiden, wie stark die transatlantische Achse noch ist – und ob Europa mehr als ein Beistellmöbel der Weltpolitik bleibt.

Merz will die Ukraine weiter klar unterstützen, setzt auf Kooperation mit Polen und Frankreich, spricht offen über eine „strategische Eigenständigkeit“ Europas. Eine ehrliche Analyse, aber auch eine riskante Wette – denn ohne die USA ist das sicherheitspolitische Gewicht Europas begrenzt.

Innenpolitisch auf dünnem Eis

Während außen Hoffnung auf Deutschland projiziert wird, ist das innenpolitische Vertrauen in die neue Regierung fragil. Die Union liegt in Umfragen nur noch knapp vor der AfD.

Nach einem konservativen Wahlkampf muss Merz nun einen Koalitionsvertrag mit sozialdemokratischer Handschrift vertreten – der Unmut in der Union wächst, das Risiko für die Mitte steigt.

Der Unmut über Kompromisse mit der SPD trifft vor allem Merz. Die CDU hat ein Identitätsproblem – und eine Kanzlerpartei ohne klares Profil wirkt in Krisenzeiten schnell entbehrlich. Sollte die Koalition ins Stolpern geraten, könnte sich das politische Zentrum dauerhaft zersetzen.

Merz bringt Ordnung – doch reicht das?

Im Gegensatz zur chaotischen Ampel hat die neue Regierung einen Vorteil: Die Finanzarchitektur steht. Der umstrittene Schuldenpakt wurde zementiert, das Sondervermögen für Infrastruktur steht. Auch wenn das manchen CDU-Wählern sauer aufstößt – fiskalpolitisch ist Klarheit besser als ständiger Streit. Merz’ Kalkül: Erst Stabilität, dann Reformen.

Doch reicht das? Reicht Ordnung, wo Transformation gefragt ist? Die deutsche Wirtschaft verliert an Wettbewerbsfähigkeit, die Abhängigkeit von Exportmärkten wird zunehmend zum Risiko. Wer dem globalen Strukturbruch standhalten will, braucht mehr als solide Haushaltsführung – er braucht ein Ziel. Und einen Plan.

Taiwan fragt, Europa zögert – Merz muss antworten

Im Berliner Spätzle-Restaurant fragt eine Journalistin aus Taiwan: „Welche Hilfe können wir von euch erwarten?“ Die Szene mag nebensächlich wirken – sie bringt aber den Druck auf den Punkt, der auf Merz lastet. Deutschland muss künftig nicht nur reagieren, sondern definieren. Außenpolitisch. Militärisch. Industriell.

Doch dafür braucht es Vertrauen – im In- wie im Ausland. Ob Merz das gewinnen kann, entscheidet sich nicht in Pressekonferenzen, sondern im Handeln. Der CDU-Chef hat ein außenpolitisches Koordinatensystem. Jetzt muss er zeigen, dass er auch ein politisches Navigationsvermögen hat.