01. Oktober, 2024

Politik

Mark Rutte übernimmt als NATO-Generalsekretär – Charismatischer Pragmatiker in turbulenten Zeiten

Mark Rutte übernimmt als NATO-Generalsekretär – Charismatischer Pragmatiker in turbulenten Zeiten

Joseph Luns, einstiger Generalsekretär der NATO von 1971 bis 1984, brach mit den Konventionen seiner Zeit. Der frühere niederländische Außenminister schockierte seine Kollegen, als er freitags um 13 Uhr sein Büro verließ und bei wichtigen Gipfeltreffen roten Hausschuhen den Vorzug vor formellem Schuhwerk gab, da diese "bequemer als Schuhe" seien. Mit seiner scharfsinnigen Art und seinem Humor führte er die NATO durch die Proteste des Vietnamkriegs, Ronald Reagans Auseinandersetzungen mit der Sowjetunion und die diplomatischen Konsequenzen der sowjetischen Invasion in Afghanistan. Trotz seiner unkonventionellen Ansichten war er mit 13 Jahren Amtszeit der längst dienende NATO-Generalsekretär.

Nun betritt ein weiterer geradliniger, erfahrene holländische Staatsmann die Bühne der NATO: Mark Rutte, der nach einer 14-jährigen Amtszeit als niederländischer Premierminister übernimmt. Ruttes Amtseinführung erfolgt in einer stürmischen Ära. Die NATO-Mitglieder kämpfen in einem Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine, der Nahe Osten steht in Flammen und die Frage der zukünftigen Expansion der Allianz sorgt für hitzige Debatten. Zusätzlich bedroht ein Erstarken des rechtspopulistischen Lagers in Ländern wie Frankreich, Deutschland und den Niederlanden die bisherige Solidarität zwischen den Verbündeten. In dieser in jeder Hinsicht anspruchsvollen Lage könnte es genau der richtige Zeitpunkt für einen bodenständigen Niederländer sein, erneut die Führung zu übernehmen.

Wenn es in einigen Ländern Aufgabe des Präsidenten oder Premierministers ist, visionäres Denken und imposante Rhetorik zu liefern, spielt in Holland eher Praxisnähe die Hauptrolle. Hier sind Koalitionsregierungen die Regel, und der Premierminister gleicht einem gewitzten Verkäufer, der ständig Zweifler überzeugt, Kompromisse aushandelt und Menschen dazu bringt, unwillige Deals einzugehen. Rutte meisterte als Premierminister dieses Spiel und wechselte zwischen rechter und linksliberaler Unterstützung. 2018 sagte er: „Ich kompromittiere normalerweise. Ich mische Wasser mit Wein.“

Während der Krieg in der Ukraine in seinem dritten Jahr tobt, sind die Mitglieder der Allianz gespalten zwischen entschlossenen Gegnern der russischen Aggression wie Großbritannien, Frankreich und Polen und solchen, die sich der Unterstützung der Ukraine verweigern, darunter Viktor Orban aus Ungarn. Rutte selbst erwies sich als fester Verbündeter der Ukraine, bezeichnete Wladimir Putin als „kaltherzig, brutal, mitleidlos“ und erklärte 2022 vor den Vereinten Nationen: „Dieser Krieg ist größer als die Ukraine selbst. Er dreht sich um die Aufrechterhaltung des internationalen Rechts.“

Sein Chamäleon-Charakter macht Rutte wandelbar und anpassungsfähig. In Den Haag ist er als bescheidene Figur bekannt, die meist ohne Leibwächter auskommt, in einem bescheidenen Haus lebt und oft mit dem Fahrrad unterwegs ist. Er ist zugleich ein Falke und sozialliberal. Nach mehr als einem Jahrzehnt in der niederländischen Politik fühlt er sich in prunkvollen Gipfelräumen und Senaten ebenso heimisch wie in der Schule in Den Haag, wo er bis vor Kurzem immer noch wöchentlich eine Sozialkundestunde gab.