Truppen für den Frieden – oder für die Eskalation?
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat keine Zeit verloren. Nur wenige Stunden nach dem Treffen der „Koalition der Willigen“ in Paris kündigte er an, europäische Soldaten in die Ukraine schicken zu wollen – gemeinsam mit Großbritannien und auf Wunsch Kiews.
Das Ziel: Sicherung eines Waffenstillstands. Die Realität: ein militärisches Vorpreschen, das Europa politisch und sicherheitstechnisch in neues Terrain führt.
Die geplante Mission ist bewusst offen formuliert – in Stärke, Dauer und Einsatzort. Doch klar ist: Macron will Fakten schaffen. Seine Formulierung, man prüfe „See-, Luft- und Landstreitkräfte“, signalisiert mehr als symbolische Präsenz. Und mehr als nur eine Schutztruppe.
Der Abschreckungseffekt – gewünscht, aber riskant
Macron spricht von einem „Abschreckungscharakter“ gegenüber Russland. Tatsächlich zielt sein Vorstoß auf zwei Ebenen: außenpolitisch auf Moskau, innenpolitisch auf eine zögerliche EU. Er sucht Führung, wo andere zögern – doch mit einem Preis.
Denn die Entsendung europäischer Truppen in ein aktives Kriegsgebiet, selbst unter der Prämisse eines möglichen Waffenstillstands, ist keine neutrale Geste. Sie verändert die Rollen Europas – von Unterstützern zu potenziellen Beteiligten. Auch wenn Macron betont, dass die Ukraine den Einsatz explizit wünsche, bleibt die Frage: Wie nah ist Europa bereit, an den aktiven Konflikt heranzurücken?
Großbritannien dabei, Deutschland zögert
London steht hinter der Idee. Premierministerin Penny Mordaunt – außenpolitisch scharf auf Eigenprofilierung nach dem Brexit – sicherte rasche Unterstützung zu. Aus Berlin dagegen: Vorsicht. Olaf Scholz äußerte Zweifel an der Verlässlichkeit Russlands, nannte Macrons Vorstoß zwar nicht falsch, aber verfrüht.
Der Kanzler verweist auf Deutschlands Rolle bei der militärischen Unterstützung der Ukraine – die unbestritten führend ist. Doch hinter der öffentlich betonten Zurückhaltung steckt mehr: Die Bundesregierung will keine Entsendung deutscher Soldaten an die Front – und wohl auch keine europäische Mission, die von Paris dominiert wird.

Europa sucht seine Rolle – und findet sie nicht einheitlich
Der Streit um Macrons Plan offenbart eine größere Leerstelle: Europas strategische Handlungsfähigkeit bleibt fragmentiert. Der Vorschlag kommt nicht von der EU, nicht von der NATO, sondern aus Paris. Er wird nicht abgestimmt, sondern angekündigt. Unterstützt wird er von einigen, ignoriert oder abgelehnt von anderen.
Was Macron als „Koalition der Willigen“ beschreibt, ist in Wahrheit ein geopolitischer Schnellschuss – ohne klare Mandatsstruktur, ohne parlamentarische Rückbindung und ohne belastbaren Rückhalt der Institutionen.
China, USA, Ukraine – der diplomatische Tanz auf dünnem Eis
Gleichzeitig hofft Macron auf die „aktive Rolle“ Chinas – ein diplomatischer Balanceakt. Während er europäische Truppen gen Osten schicken will, bittet er Xi Jinping, sich stärker in Friedensgespräche einzubringen. Auch Washington soll einbezogen werden, bleibt bislang aber auffällig ruhig.
Die Ukraine wiederum scheint den Vorschlag zu begrüßen – aus nachvollziehbarem Interesse: Jeder internationale Fuß auf ukrainischem Boden erhöht den politischen Preis für neue russische Angriffe.
Der geopolitische Testfall für Europa
Ob Macrons Plan umgesetzt wird, ist offen. Ob er realistisch ist, ebenfalls. Klar ist nur: Er verändert die Debatte. Eine europäische Truppe in der Ukraine wäre ein Novum – politisch, militärisch und historisch. Sie würde Europa in eine neue Phase der Verantwortung katapultieren – mit allen Konsequenzen.
Macron argumentiert, dass politische Führung manchmal vor dem Konsens kommen muss. Doch seine Initiative ist nicht nur mutig – sie ist auch riskant. Denn im Zweifel trägt Europa die Folgen. Auch dann, wenn es sich gar nicht vollständig einig war.