Christian Lindner ist für seine Vorstöße bekannt, doch diesmal scheint er die Grundfesten der Koalition zu erschüttern. Ein „wirtschaftspolitisches Grundsatzpapier“ des FDP-Chefs, das wohl vorerst intern bleiben sollte, ist nun durch eine Indiskretion in der Öffentlichkeit gelandet.
In diesem Papier fordert Lindner nicht weniger als eine „grundlegende Revision“ der deutschen Wirtschaftspolitik – inklusive der Abschaffung des Solidaritätszuschlags für alle, dem Stopp neuer Regulierungen und einem Kurswechsel in der Klimapolitik.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Vor allem die SPD zeigt sich angesichts der markanten Forderungen irritiert. Martin Rosemann, der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sparte nicht mit Kritik.
Lindners Papier sei eine Ansammlung „neoliberaler Phrasendrescherei“ und biete keinerlei Antworten auf drängende Fragen wie die Sicherung von Industriearbeitsplätzen oder die Senkung der Strompreise für Unternehmen. Deutlicher wird es kaum.
Zurückhaltung bei den Koalitionspartnern – vorerst
Interessant ist die Reaktion der Spitzen der Ampelparteien. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch verzichtete auf eine direkte Stellungnahme zum Inhalt und rief lediglich zu einem „konstruktiven, lösungsorientierten Dialog“ auf.
Auch Omid Nouripour, Chef der Grünen, wirkte auf den ersten Blick zurückhaltend:
„Wir Grüne sind bereit, ernst gemeinte Vorschläge zum Wohle des Landes zu diskutieren.“
Doch sein Vize, Andreas Audretsch, nimmt kein Blatt vor den Mund: Lindners Papier sei lediglich eine „Nebelkerze“.
„Es wäre sinnvoller, wenn der Finanzminister sich um den Haushalt kümmern würde.“
Dabei steht der November bereits im Zeichen kritischer Haushaltsverhandlungen. Milliardenschwere Lücken müssen geschlossen werden – und die Zeit drängt.
Wirtschaftliche Gräben: Lindner vs. Habeck
Die Diskrepanz in der Wirtschaftspolitik innerhalb der Ampel wird immer offensichtlicher. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schlägt immer wieder Investitionsprogramme vor, die teils schuldenfinanziert sind, um die Industrie zu entlasten und Investitionen anzukurbeln.
Lindner hingegen positioniert sich klar gegen eine Schuldenpolitik und fordert stattdessen Entlastungen für Unternehmen durch den Abbau von Steuern und Abgaben.
Dieser Zwiespalt zieht sich wie ein roter Faden durch die bisherigen Versuche der Ampel, die Wirtschaft zu stabilisieren. Nicht ohne Grund richtete Lindners FDP zuletzt einen eigenen Gipfel mit Wirtschaftsverbänden aus – als Kontrast zu den von Kanzler Scholz geführten Gesprächen im Kanzleramt, bei denen weder Lindner noch Habeck geladen waren.
Opposition fordert Neuwahlen: „Ultimative Scheidungsurkunde“
Die Unionsparteien nehmen die Unstimmigkeiten in der Ampel zum Anlass, Neuwahlen zu fordern. Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, nennt Lindners Forderungen die „ultimative Scheidungsurkunde“.
Auch CSU-Chef Markus Söder lässt kein gutes Haar an der Koalition: „Eine Regierung, die gegeneinander Papiere verschickt, ist eine Blamage für unser Land.“ Ein deutlicher Fingerzeig auf die scheinbare Zerbrechlichkeit des Dreierbündnisses.
Weidels Appell: „Je eher, desto besser“
Die AfD schließt sich den Neuwahl-Forderungen an. Parteichefin Alice Weidel sieht die Ampel endgültig am Ende. Auf der Plattform X teilte sie mit, dass die Koalition das „handlungsunfähige Schauspiel“ umgehend beenden solle. Auch die öffentliche Wahrnehmung scheint zunehmend zu kippen: Die Deutschen verfolgen die internen Querelen und Krisentreffen mit wachsendem Unbehagen.