Ohne Vorwarnung – aber mit maximaler Wucht – ist ein sicher geglaubtes Aufnahmeprogramm zur offenen politischen Flanke geworden.
Während sich in Hannover ein weiterer Charterflug mit 174 Afghanen auf deutschem Boden entlädt, platzt Sachsens Innenminister Armin Schuster in das mediale Vakuum und liefert ein Statement, das politisch kaum schärfer formuliert sein könnte. Die anstehenden Evakuierungen seien „infam“, „vollkommen verbohrt“ – und ein „Akt gegen die politische Hygiene“.
Der Hintergrund: Noch drei weitere Flüge aus Pakistan sind im April geplant. Auf ihnen: Menschen, denen Deutschland bereits vor Monaten oder gar Jahren eine Aufnahme zugesichert hat – darunter viele ehemalige Ortskräfte, Frauenrechtlerinnen, Juristinnen und NGO-Mitarbeitende.
Die rechtliche Grundlage dafür steht, das Aufnahmeversprechen wurde staatsverbindlich erteilt. Und doch tobt nun ein Kampf um Symbolik – angetrieben vom Regierungswechsel und dem Wunsch der Union, die Zuwanderungspolitik sichtbar zu verschärfen.
Baerbocks letztes Kapitel – oder politisches Störfeuer?
Annalena Baerbock, noch Außenministerin, aber faktisch auf dem Weg in den Oppositionsmodus, zieht ein angekündigtes Programm durch. Nicht mehr, nicht weniger.
Die rund 2.800 Zusagen, die noch ausstehen, gelten weiter – auch wenn CDU und CSU im Koalitionsvertrag mit der SPD vereinbart haben, solche freiwilligen Aufnahmeprogramme künftig „so weit wie möglich“ zu beenden.
Für Baerbock ist es eine Frage der Verlässlichkeit, für ihre Kritiker ein politischer Affront. Was in diesem letzten Akt der Legislatur aussieht wie technokratische Verwaltung, wird zum emotional aufgeladenen Konflikt über Deutschlands Migrationspolitik – und über den Zustand der Gesellschaft selbst.

Schuster wettert – und bringt den kommunalen Kollaps ins Spiel
Sachsens Innenminister geht dabei deutlich über die Frage der Aufnahmezahlen hinaus. Schuster, Teil der neuen schwarz-roten Machtarchitektur in Berlin, stellt die Programme grundsätzlich infrage. Nicht wegen der Zielgruppe – sondern wegen des Zeitpunkts und der Wirkung auf eine überforderte Verwaltung.
„Wir haben über zehn Jahre fast ungesteuerte Migration erlebt“, so Schuster, „und die Kommunen stehen mit dem Rücken zur Wand.“
Integration sei kaum noch leistbar, vielerorts würden neue Aufnahmen auf massiven Unmut stoßen – nicht nur in ostdeutschen Städten. Was Schuster umtreibt, ist die Kombination aus rechtlich verpflichtenden Zusagen und kommunalpolitischem Realitätscheck. Seine Kritik trifft damit einen Nerv – auch jenseits parteipolitischer Lager.
Unterschiedliche Wahrheiten, kaum Spielraum
Was diesen Konflikt besonders delikat macht: Beide Seiten haben formal recht. Die Zusagen stehen, das Bundesaufnahmeprogramm ist juristisch bindend – die Bundesregierung, auch wenn sie sich im Übergang befindet, ist zur Durchführung verpflichtet.
Gleichzeitig ist auch die Überlastung vieler Städte und Gemeinden ein Fakt – dokumentiert durch Hilferufe aus nahezu allen Bundesländern. Es prallen Rechtssicherheit und Wirklichkeit aufeinander – ein Muster, das in der deutschen Migrationspolitik immer wieder sichtbar wird.
Der Druckpunkt: Afghanistan als innenpolitisches Ventil
Kaum ein Thema eignet sich derzeit besser, um parteipolitische Unterschiede öffentlichkeitswirksam zu inszenieren. Afghanistan ist symbolisch aufgeladen – nicht nur wegen des historischen Versagens beim Abzug 2021, sondern auch wegen des grundsätzlichen Dilemmas: Wie geht ein demokratischer Rechtsstaat mit ehemaligen Partnern um, wenn die Sicherheitslage keine Rückführung erlaubt, aber innenpolitisch jede Aufnahme kritisiert wird?
Schuster bringt dabei nicht nur das Aufnahmeprogramm ins Spiel, sondern auch die ausbleibenden Abschiebungen. Er wirft Baerbock vor, diplomatische Kanäle vor allem dafür genutzt zu haben, „zigtausende“ Menschen nach Deutschland zu holen, statt bei Rückführungen „von Intensivstraftätern und Islamisten“ Ergebnisse zu erzielen.
Ein schwerer Vorwurf – aber auch eine Ablenkung. Denn das Problem der fehlenden Rückführungen betrifft längst nicht nur Afghanistan, sondern ein halbes Dutzend weitere Staaten, mit denen Deutschland keine Rücknahmeabkommen hat. Baerbock allein dafür verantwortlich zu machen, greift zu kurz – bleibt politisch aber effektiv.
Was folgt – und was nicht mehr rückgängig zu machen ist
Die drei geplanten Flüge aus Pakistan werden stattfinden. Daran wird auch eine neue Regierung nichts mehr ändern können – zumindest nicht legal. Die Aufgenommenen haben gültige Aufnahmezusagen, viele von ihnen haben Familienmitglieder bereits in Deutschland.
Einige leben seit Jahren im limbohaften Warten auf das endgültige Visum.
Was sich ändern wird: der Ton, die Strategie, die politischen Prioritäten. Die Union will Aufnahmeprogramme künftig nicht mehr ausbauen, sondern gezielt beenden.
Der Koalitionsvertrag ist hier eindeutig. Doch was dies für die internationale Glaubwürdigkeit deutscher Zusagen bedeutet – und ob andere Partnerstaaten künftig noch bereit sind, Ortskräfte zu unterstützen, wenn sie später nicht einmal Sicherheit in Deutschland erhalten – bleibt offen.