29. Mai, 2025

Unternehmen

Künstliche Intelligenz im Verborgenen – wie OpenAI heimlich in München Fuß fasst

Deutschlands Firmenwelt setzt große Hoffnungen in ChatGPT und Co. – doch der Entwickler gibt sich wortkarg. Ein erster Standort in München ist eröffnet. Wo genau, bleibt geheim.

Künstliche Intelligenz im Verborgenen – wie OpenAI heimlich in München Fuß fasst
Kein Schild, kein Empfang – OpenAI gibt sich am neuen Standort in München äußerst zugeknöpft. Selbst bei Presseevents bleibt die Adresse geheim.

Es ist ein Dienstagmorgen im Mai, als Michael R. sich zum ersten Mal fragt, ob er an die richtige Tür geklopft hat. Der 47-jährige IT-Leiter eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens aus Augsburg ist nach München gereist, um ein Kennenlerngespräch mit OpenAI zu führen.

Genauer: mit dem Unternehmen, das den Chatbot ChatGPT entwickelt hat. Einem System, das seine Arbeitswelt grundlegend verändert. Doch dort, wo laut Einladung das Treffen stattfinden soll, befindet sich – nichts.

„Ich stand vor einem Bürogebäude ohne Schild, ohne Hinweis, ohne Rezeption“, erzählt er. Kein OpenAI-Logo, kein Empfang. „Ich hatte den Eindruck, man wolle gar nicht gefunden werden.“

Ein anonymer Fahrstuhl, ein leerer Flur – erst nach einem Anruf und fünf Minuten Wartezeit öffnete sich schließlich eine Tür, und ein Mitarbeiter bat ihn mit einem knappen „Hier entlang“ herein.

Ein Standort, den es nicht geben soll

Seit dieser Woche ist offiziell: OpenAI, der amerikanische KI-Spezialist und Erfinder von ChatGPT, hat ein Büro in München eröffnet. Es ist der erste Standort des Unternehmens in Deutschland.

„Wir sehen Deutschland als einen unserer wichtigsten Märkte weltweit“, sagt Nick Turley, Produktchef für ChatGPT, auf einer Veranstaltung im Münchner Stadtzentrum.

Doch während die Gäste auf Croissants und Filterkaffee warten, meidet der Manager konkrete Aussagen: Weder nennt er die genaue Adresse des neuen Büros, noch äußert er sich zur Zahl der Mitarbeitenden oder Kunden.

Dabei ist das Interesse enorm. Nach Angaben von Turley zählt Deutschland die meisten ChatGPT-Nutzerinnen und -Nutzer in Europa. Allein im Frühjahr sei die Zahl der wöchentlich aktiven Konten um 20 Prozent gestiegen – doch auch hier: keine absoluten Zahlen, keine Details.

Das große Schweigen – aus Strategie oder Vorsicht?

Warum also das Versteckspiel? Wer OpenAI kennt, weiß: Diskretion gehört zur DNA der Firma. Öffentlichkeitsarbeit wird sparsam dosiert, der Kontakt zur Presse wirkt oft kontrolliert, fast misstrauisch.

Mit Deep Research greift OpenAI Google & Co. frontal an – doch das Vertrauen vieler deutscher Mittelständler muss sich das US-Unternehmen erst noch verdienen.

„Wir wollen, dass sich der Fokus auf das Produkt richtet, nicht auf uns“, heißt es aus dem Unternehmen. Doch vielleicht steckt mehr dahinter – denn OpenAI arbeitet eng mit Microsoft zusammen, dessen Rechenzentren die Infrastruktur für ChatGPT in Europa bereitstellen. Firmenkunden, so Turley, könnten sicher sein, dass ihre Daten in Europa blieben und vollständig unter ihrer Kontrolle seien.

Für deutsche Unternehmen ist das ein entscheidender Punkt. Datenschutz ist kein Nebenschauplatz, sondern Geschäftsgrundlage. Umso erstaunlicher wirkt es, wenn ein Konzern wie OpenAI ausgerechnet in diesem Markt auf maximale Intransparenz setzt.

Ein anonymer Ort mit großer Wirkung

Und doch zeigt das Beispiel von Michael R., wie stark die Anziehungskraft der KI inzwischen ist. Sein Unternehmen prüft derzeit den Einsatz von GPT-4 im Kundenservice und in der technischen Dokumentation.

„Wir haben mit klassischen Chatbots experimentiert, aber die Sprache wirkte hölzern, wenig überzeugend“, sagt er. „ChatGPT dagegen ist ein Quantensprung.“ Seine Firma ist nicht allein: Auch Konzerne wie Siemens, Datev, Zalando und Bertelsmann gehören in Deutschland bereits zum Kundenstamm von OpenAI.

Sogar Sparkassen und Forschungseinrichtungen wie die Max-Planck-Gesellschaft oder die WHU in Vallendar testen den Einsatz im Alltag. Die Euphorie ist spürbar – doch sie wird begleitet von einer gewissen Unsicherheit.

„Manchmal habe ich das Gefühl, wir steigen in ein Hochgeschwindigkeitsfahrzeug ein, dessen Ziel wir nicht kennen“, sagt Michael R. leise.

Der Konkurrenzkampf um die besten Köpfe

Längst ist OpenAI nicht mehr der einzige Akteur im Rennen. Der KI-Anbieter Anthropic, gegründet von ehemaligen OpenAI-Mitarbeitern, nennt Deutschland einen „zentralen Markt“.

Auch Google mischt mit seinem Gemini-System kräftig mit – insbesondere mit der neuen Deep-Research-Funktion, die ähnlich wie ChatGPT Berichte auf Knopfdruck erstellen kann. „Die Frage ist längst nicht mehr, ob Unternehmen KI nutzen – sondern mit wem“, sagt ein Brancheninsider, der anonym bleiben möchte.

Hoch bewertet, tief in den roten Zahlen

Die Ambivalenz zieht sich durch alle Bereiche des Unternehmens. OpenAI gilt mit zuletzt 300 Milliarden Dollar Bewertung als eines der wertvollsten Start-ups der Welt – und schreibt trotzdem Verluste.

Die Pläne von Gründer Sam Altman, aus dem Projekt ein gewinnorientiertes Unternehmen zu formen, sind inzwischen auf Eis gelegt. Stattdessen setzt man auf stetige Expansion – neue Produkte, neue Märkte, neue Investoren. Kürzlich warb Altman erneut 40 Milliarden Dollar ein.

Ein Teil dieser Mittel fließt nun offenbar nach Europa. Mit „Deep Research“, einer neuen Analysefunktion für Unternehmen, soll ChatGPT zur Standardlösung für anspruchsvolle Fragestellungen werden – von Marktanalysen bis hin zur juristischen Vorprüfung. Und: Das Tempo bleibt hoch.

Das könnte Sie auch interessieren:

Warum sich Superreiche zurückziehen und was clevere Anleger daraus lernen können
Mit Milliarden in Cash, stillen Rückzügen und diskreten Käufen sendet Warren Buffett ein letztes Signal an die Finanzwelt. Was sich dahinter verbirgt – und wie Privatanleger es deuten sollten.