Die Deutschen fallen immer öfter und länger krank aus, und das wird langsam teuer. Kosten für ausgefallene Arbeitsstunden schießen in die Milliarden, Züge bleiben stehen, Bauprojekte verzögern sich, und die Wirtschaft stöhnt unter der Last.
Die Lösung? Mehr Druck auf Kranke – oder genauer: eine Kürzung der Lohnfortzahlung auf 80 Prozent. Die Idee mag wie ein alter Hut klingen, aber gerade deswegen ist sie so explosiv.
Wir berichteten bereits:
Der Preis fürs Kranksein
Seit 2022 haben die Krankenkassen eine genauere Datenbasis, die zeigt: Die Zahl der Fehltage ist höher, als die bisherigen Schätzungen vermuten ließen. Laut der Techniker Krankenkasse waren deren Versicherte im letzten Jahr durchschnittlich 14,13 Tage krank – ein Spitzenwert, der noch weit über dem Vor-Corona-Niveau liegt.
Und mit den Erkältungen und psychischen Erkrankungen, die einen Großteil der Ausfälle ausmachen, sind Arbeitgeber inzwischen massiv belastet: Insgesamt geht es um rund 38 Milliarden Euro, die auf krankheitsbedingte Ausfälle zurückzuführen sind. Eine Summe, die verständlicherweise auch beim Finanzminister für Stirnrunzeln sorgt.
Lohnfortzahlung: Ein Erfolgsmodell auf dem Prüfstand
Die Lohnfortzahlung in Deutschland ist großzügig: Ab dem zweiten Krankheitstag gibt es 100 Prozent Gehalt, und zwar bis zu sechs Wochen. Ein globaler Spitzenwert.
Dass das nicht unbedingt motiviert, zur Arbeit zu kommen, wenn die Nase läuft, wissen auch die Ökonomen. Nicolas Ziebarth, Experte für Arbeitsökonomie, bringt es auf den Punkt:
„Je großzügiger die Lohnfortzahlung, desto höher die Fehlzeiten.“
Länder wie Schweden machen es anders: Dort gibt es einen Karenztag und danach 80 Prozent Lohnfortzahlung. Die Rechnung ist einfach – weniger Geld für Krankmeldungen, weniger Krankmeldungen.
Kontrollanrufe und Halbtagskrankmeldungen?
Die Frage ist, wie viel Druck auf kranke Arbeitnehmer sinnvoll ist. Während CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge die telefonische Krankschreibung als „Relikt aus der Corona-Zeit“ abschaffen möchte, um Missbrauch zu erschweren, plädiert Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dafür, genau diesen Service zu behalten. Die telefonische Krankschreibung, so Lauterbach, entlaste überfüllte Arztpraxen und helfe, Ansteckungen zu vermeiden.
Doch nicht alle sind überzeugt, dass weniger Bürokratie den Krankenstand tatsächlich in die Höhe treibt. Ökonom Ziebarth sieht die Lösung eher im betrieblichen Gesundheitsmanagement und Maßnahmen wie Impfungen und präventiven Angeboten für Mitarbeiter.
FDP-Politiker Andrew Ullmann geht noch einen Schritt weiter und will eine Halbtags-Krankschreibung einführen: „Manchmal reicht eine halbe Pause, statt vollständig auszufallen.“
Der heiße Draht ins Jahr 1996
Dass die Lohnfortzahlung ein heikles Thema ist, zeigte sich schon in den 90ern: Unter Kanzler Helmut Kohl kürzte die Regierung 1996 die Lohnfortzahlung auf 80 Prozent.
Die Folge? Streiks, Proteste und – tatsächlich – sinkende Fehlzeiten. Doch die Idee war zu unpopulär, und mit der neuen Regierung unter Gerhard Schröder wurde die Kürzung nach nur zwei Jahren zurückgenommen. Die Fehltage stiegen prompt wieder an.
Was damals politisch scheiterte, ist heute erneut im Gespräch. Die Arbeitgeber fordern eine Entlastung, die Gewerkschaften toben, und die Regierung wägt ab. Klar ist: Eine Kürzung der Lohnfortzahlung könnte Milliarden sparen. Die Frage ist nur, zu welchem Preis. Denn wer krank zur Arbeit kommt, macht am Ende niemandem einen Gefallen – weder den Kollegen noch der Produktivität.
Was bleibt?
Das Thema bleibt brisant. Die Lohnfortzahlung anzugreifen ist und bleibt ein Drahtseilakt. Und während die Wirtschaft auf Entlastung hofft, wird sich die Politik daran erinnern müssen, wie schnell ein derartiger Eingriff den sozialen Frieden stören kann. Die Frage lautet also: Lohnt sich das Risiko?