Kommunikationskollaps auf dem Ausbildungsmarkt
In Deutschland klafft eine wachsende Lücke zwischen den Erwartungen junger Berufsanwärter und den Angeboten der Unternehmen. Neue Daten legen offen, dass trotz eines leichten Anstiegs der Ausbildungsverträge im Jahr 2023 mit 479.800 Abschlüssen das Vor-Corona-Niveau weit verfehlt wird.
Dramatischer noch: Rund 2,9 Millionen Menschen unter 34 Jahren haben keinen Berufsabschluss.
Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsausbildung (BIBB), sieht hierin eine ernste Bedrohung für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
„Es ist ein Zustand, der schnellstens behoben werden muss“, warnt Esser.
Andrea Nahles, Leiterin der Bundesagentur für Arbeit, sieht in jedem jungen Menschen ohne Ausbildung eine verlorene Fachkraft der Zukunft.
„Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um diese jungen Leute in Ausbildungen zu bringen“, fordert Nahles.
Die Gründe für die Misere sind vielfältig: Bildungsdefizite, Sprachbarrieren und oft auch die schiere Entfernung zwischen Wohnort und Lehrstelle.
Unternehmen müssen umdenken
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) stellt zwar fest, dass viele Unternehmen ihre Lehrpläne modernisiert haben, doch scheitert die Ansprache an den Jugendlichen oft an überholten Methoden.
Nico Schönefeldt, Bereichsleiter Ausbildung bei der DIHK, erläutert: "Viele unserer Betriebe bieten moderne Arbeitsumgebungen und flache Hierarchien – und dennoch erreichen wir die Jugendlichen nicht."
Die Umfrageergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Obwohl sich rund 70 Prozent der Azubis in ihrer Ausbildung wohl fühlen, würde ein beachtlicher Teil ihren Ausbildungsbetrieb nicht weiterempfehlen.
"Das ist alarmierend", sagt Nele Techen, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
„Viele Ausbildungsverträge werden vorzeitig gelöst, und das darf uns nicht kalt lassen.“
Digitale Welten – analoge Strategien
Die Kluft zwischen digital affinen Jugendlichen und den Rekrutierungsstrategien der Unternehmen wird besonders in einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) deutlich.
"Viele Unternehmen sprechen noch immer über Plattformen wie Facebook zu den Jugendlichen, die dort kaum noch aktiv sind", erklärt Dirk Werner vom IW.
Stattdessen tummeln sich junge Leute auf YouTube, TikTok und Snapchat – Plattformen, die von den meisten Betrieben sträflich vernachlässigt werden. "Es ist, als würde man in zwei verschiedenen Sprachen kommunizieren, die niemand des anderen versteht", so Werner.
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Was muss passieren?
Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. Unternehmen müssen ihre Kommunikationsstrategien grundlegend überdenken und dort präsent sein, wo ihre zukünftigen Azubis sich aufhalten. Nur so kann die Lücke geschlossen werden, die jedes Jahr über eine Million Lehrstellen unbesetzt lässt.