18. September, 2024

Education

Kommunikationspanne: Warum Deutschlands Betriebe ihre Azubis nicht erreichen

Trotz aufgehübschter Ausbildungsprogramme: Über eine Million Lehrstellen bleiben leer. Eine neue Studie zeigt, wo es hakt.

Kommunikationspanne: Warum Deutschlands Betriebe ihre Azubis nicht erreichen
Die Azubizufriedenheit ist gesunken und die Vertragsauflösungsquote erreicht mit 29,5% im Jahr 2022 einen neuen Höhepunkt. Ein Indiz für Defizite in der Betreuung und Unterstützung durch die Ausbildungsbetriebe.

Kommunikationskollaps auf dem Ausbildungsmarkt

In Deutschland klafft eine wachsende Lücke zwischen den Erwartungen junger Berufsanwärter und den Angeboten der Unternehmen. Neue Daten legen offen, dass trotz eines leichten Anstiegs der Ausbildungsverträge im Jahr 2023 mit 479.800 Abschlüssen das Vor-Corona-Niveau weit verfehlt wird.

2,1 % mehr neue Ausbildungsverträge in der dualen Berufsausbildung im Jahr 2023
Im Jahr 2023 ist die Zahl neuer Ausbildungsverträge in der dualen Berufsausbildung um 2,1 % oder 9 900 gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Insgesamt schlossen nach endgültigen Ergebnissen rund 479 800 Personen in Deutschland einen neuen Ausbildungsvertrag ab. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, verstärkte sich damit der leicht positive Trend in der dualen Berufsausbildung seit dem starken coronabedingten Rückgang im Jahr 2020 (2022: +0,8 %; 2021: +0,6 %, 2020: -9 %). Einen besonders hohen Zuwachs gab es bei Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Neuverträge hier um 9 % (+5 100) auf 59 900. Damit wurden 13 % aller neuen Ausbildungsverträge im Jahr 2023 von Auszubildenden mit ausländischer Staatsangehörigkeit abgeschlossen. Die größten Zuwächse gab es bei Personen mit vietnamesischer (+1 900), marokkanischer (+1 000) und ukrainischer (+980) Staatsangehörigkeit.

Dramatischer noch: Rund 2,9 Millionen Menschen unter 34 Jahren haben keinen Berufsabschluss.

Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsausbildung (BIBB), sieht hierin eine ernste Bedrohung für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

„Es ist ein Zustand, der schnellstens behoben werden muss“, warnt Esser.

Andrea Nahles, Leiterin der Bundesagentur für Arbeit, sieht in jedem jungen Menschen ohne Ausbildung eine verlorene Fachkraft der Zukunft.

„Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um diese jungen Leute in Ausbildungen zu bringen“, fordert Nahles.

Die Gründe für die Misere sind vielfältig: Bildungsdefizite, Sprachbarrieren und oft auch die schiere Entfernung zwischen Wohnort und Lehrstelle.

Unternehmen müssen umdenken

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) stellt zwar fest, dass viele Unternehmen ihre Lehrpläne modernisiert haben, doch scheitert die Ansprache an den Jugendlichen oft an überholten Methoden.

Nico Schönefeldt, Bereichsleiter Ausbildung bei der DIHK, erläutert: "Viele unserer Betriebe bieten moderne Arbeitsumgebungen und flache Hierarchien – und dennoch erreichen wir die Jugendlichen nicht."

Trotz der Digitalisierung der Arbeitswelt verharren viele deutsche Unternehmen bei veralteten Rekrutierungsmethoden auf Plattformen wie Facebook, während Jugendliche längst zu dynamischeren Netzwerken wie TikTok und Snapchat abgewandert sind.

Die Umfrageergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Obwohl sich rund 70 Prozent der Azubis in ihrer Ausbildung wohl fühlen, würde ein beachtlicher Teil ihren Ausbildungsbetrieb nicht weiterempfehlen.

"Das ist alarmierend", sagt Nele Techen, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

„Viele Ausbildungsverträge werden vorzeitig gelöst, und das darf uns nicht kalt lassen.“

Digitale Welten – analoge Strategien

Die Kluft zwischen digital affinen Jugendlichen und den Rekrutierungsstrategien der Unternehmen wird besonders in einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) deutlich.

"Viele Unternehmen sprechen noch immer über Plattformen wie Facebook zu den Jugendlichen, die dort kaum noch aktiv sind", erklärt Dirk Werner vom IW.

Stattdessen tummeln sich junge Leute auf YouTube, TikTok und Snapchat – Plattformen, die von den meisten Betrieben sträflich vernachlässigt werden. "Es ist, als würde man in zwei verschiedenen Sprachen kommunizieren, die niemand des anderen versteht", so Werner.


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Was muss passieren?

Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. Unternehmen müssen ihre Kommunikationsstrategien grundlegend überdenken und dort präsent sein, wo ihre zukünftigen Azubis sich aufhalten. Nur so kann die Lücke geschlossen werden, die jedes Jahr über eine Million Lehrstellen unbesetzt lässt.