Mit Kelly Ortberg tritt ein erfahrener Branchenveteran und ehemaliger CEO von Rockwell Collins an die Spitze von Boeing. Der US-amerikanische Flugzeughersteller befindet sich momentan in einer kritischen Phase und steht vor großen Herausforderungen. Ortberg, der aus dem Ruhestand zurückkehrt, übernimmt ein 108 Jahre altes Unternehmen, das nicht nur finanziell angeschlagen ist, sondern auch mit internen Problemen zu kämpfen hat, die sich vermutlich erst in Jahren vollständig beheben lassen.
Zu den dringendsten Aufgaben des neuen CEO gehören die Wiederherstellung der Beziehungen zu Fluggesellschaften und Mitarbeitern, die Steigerung der Produktionskapazitäten sowie die Stabilisierung der Unternehmensfinanzen. Zudem muss ein neuer Tarifvertrag geschlossen werden, um einen möglichen Streik der Beschäftigten zu verhindern. Obwohl die aktuelle Lage des Unternehmens düster scheint, äußern Branchenexperten optimistisch, dass Ortbergs umfangreiche Erfahrung im Bereich Luft- und Raumfahrt sowie sein Status als Außenseiter, der nicht mit Boeings Vergangenheit verstrickt ist, positive Impulse geben könnten.
Unterdessen hat der Flugzeugbauer mit einem Produktionsrückgang bei der 737 MAX zu kämpfen, nachdem Anfang des Jahres ein Notfall in der Luft auftrat, der zu einer Reduzierung der Auslieferungsrate führte. Kunden wie Southwest Airlines sind dadurch gezwungen, ihre Planungen anzupassen, was erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen hat.
Ehemalige Führungskräfte wie Oscar Munoz von United Airlines betonen die Notwendigkeit realistischer Kommunikationsstrategien gegenüber Kunden und Mitarbeitern, um Vertrauen zurückzugewinnen. Gleichzeitig steht Boeing weiteren Schwierigkeiten gegenüber, darunter Lieferkettenprobleme und drohende Arbeitskämpfe der mehr als 30.000 Fabrikarbeiter in der Region Seattle. Erste Fortschritte in den Verhandlungen um nicht-wirtschaftliche Aspekte geben jedoch Anlass zur Hoffnung.
Auch finanziell sieht es düster aus. Die Ratingagentur S&P hat bereits gewarnt, dass Boeings Kreditwürdigkeit herabgestuft werden könnte, sollten keine Fortschritte bei der Normalisierung der Produktion erzielt werden. Ortberg wird daher in Seattle, dem Zentrum der Produktion, verbleiben, um so nah wie möglich am Geschehen zu sein und die nötigen Veränderungen zu steuern.
Neben den operativen und finanziellen Herausforderungen muss sich der neue CEO auch moralisch und rechtlich verantworten. Eine Übereinkunft mit dem US-Justizministerium steht zur Entscheidung an, die im Zusammenhang mit zwei tragischen Flugzeugabstürzen der 737 MAX liegt. Diese sieht vor, dass Boeing sich der Verschwörung zu Strafbetrug schuldig bekennt und Zahlungen in Höhe von bis zu 487 Millionen US-Dollar leistet. Ein US-Richter muss nun entscheiden, ob die Vereinbarung endgültig akzeptiert wird.
Letztlich muss Boeing auch an die Zukunft denken und möglicherweise ein neues Modell auf den Markt bringen, um die alternde Flugzeugflotte zu modernisieren. Analysten sind der Meinung, dass dies jedoch erst nach der Stabilisierung der aktuellen operativen und finanziellen Situation geschehen sollte. Robert Spingarn von Melius Research betont, dass Ortbergs Prioritäten vermutlich in der Stabilisierung von Boeings Geschäften, Finanzen und Unternehmenskultur liegen werden.